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| Impressum 08. August 2014, von Michael Schöfer Die Rassenideologie der Nazis lebt fort... ...und das kurioserweise sogar bei Juden (oder solchen, die sich dafür halten). In der taz findet sich die Geschichte einer Frau, die - obgleich getauft und katholisch erzogen - entdeckt hat, dass ihre Großeltern ursprünglich Juden waren. Sie überlebten den Holocaust, änderten aber anschließend ihren Namen (aus Rubinroth wurde Pszczolowska) und wechselten die Religion (vom Judentum zum Katholizismus). Die Frau habe inzwischen "ihre jüdischen Wurzeln angenommen", würde sich aber dennoch nicht als Jüdin bezeichnen, sondern am liebsten als "als berlinisch-polnische Dreivierteljüdin". [1] Eine rührende Geschichte. Doch im Grunde wird hier bloß die nationalsozialistische Rassenideologie weiter am Leben erhalten. Das Judentum kennt nämlich keine Halb-, Viertel-, Achtel- oder Dreivierteljuden, sondern nur ganze Juden. Jude ist, wer eine jüdische Mutter hat oder zum Judentum konvertiert. Und das vollständig. Punkt. Gehört der Vater einer anderen Religion an, ist das Kind der jüdischen Mutter trotzdem ein vollständiger Jude. Der Begriff "Halbjude" wurde von den Nazis eingeführt (erstmals 1941 in den Duden aufgenommen) und basiert auf deren Rassenideologie. Das Reichsbürgergesetz vom 15.09.1935 (Bestandteil der Nürnberger Rassengesetze) unterschied zwischen "Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes" und "Angehörigen rassefremden Volkstums". Zu Letzteren zählten die Juden. In der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14.11.1935 wurde definiert, wer als "Jude" oder als "jüdischer Mischling" zu gelten hat:
Das gilt für jede Religion. Alles andere würde ja auch, genauso wie der Rassenwahn der Nazis, zu absurden Kategorien führen. Nehmen wir an, meine Mutter ist katholisch und mein Vater evangelisch. Bin ich dann ein "Halbkatholik" oder ein "Halbevangele"? Nehmen wir an, meine Großmutter mütterlicherseits wäre katholisch gewesen, die übrigen Großelternteile jedoch evangelisch. Bin ich dann ein "katholischer Mischling zweiten Grades" oder ein "Vollevangele"? So etwas ist kompletter Unsinn. Kommt es nicht vielmehr darauf an, zu welcher Religion ich mich selbst bekenne (ganz ohne Bezug zu meinen Vorfahren)? Wer aus einer ausnahmslos katholischen Familie kommt und Buddhist wird, ist nun mal zu hundert Prozent Buddhist. Welchem Glauben die bucklige Verwandtschaft anhängt, ist dabei vollkommen irrelevant. Das gilt im Übrigen auch für Atheisten. Wer aus der römisch-katholischen Kirche austritt, in die er ohne gefragt zu werden im zarten Alter von einer Woche durch die Taufe hineingezwungen wurde, gehört eben - unabhängig von der Religion seiner Eltern oder Großeltern - keiner Religionsgemeinschaft mehr an. Das ist doch gar nicht so schwer zu verstehen. ---------- [1] taz vom 08.08.2014 [2] Wikipedia, Nürnberger Gesetze, Einstufung |