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04. September 2014, von Michael Schöfer
Honeypot


Wissen Sie was ein Honeypot ist? Na klar, werden Sie jetzt sagen, ein Honigtopf. Stimmt, aber in einem Honeypot ist nicht immer nur eine zähflüssige süße Masse drin, denn er erweist sich zuweilen auch als geschickt aufgestellte Falle. So locken beispielsweise Sicherheitsdienstleister in der Computerbranche Hacker bewusst auf eigens dafür installierte Rechner, um anschließend das Angreiferverhalten zu analysieren. Aus den Protokollen gewinnen etwa die Hersteller von Anti-Viren-Software wertvolle Erkenntnisse, um Computer und Netzwerke besser zu schützen. Die Film- und Musikindustrie soll angeblich spezielle Server öffentlich zugänglich gemacht haben, um Raubkopierer anzulocken und so deren Identität zu lüften. Schließlich fahndet auch das FBI mit Honeypots gezielt nach Konsumenten von Kinderpornografie. Entsprechend eingerichtete Computer gaukeln ihnen vor, dort sei verbotenes Material herunterzuladen. Schwupp, schon schnappt die Falle zu. Raffiniert, nicht wahr?

Aufgepasst: Auf meiner Website erhalten Sie exklusive Informationen über die größten Honeypots der Weltgeschichte. Hochgeheimes, äußerst brisantes Material. Edward Snowden und Julian Assange würden gewiss vor Neid erblassen. Wer hat die Honigtöpfe aufgestellt? Die Nato natürlich, wer sonst!

Honeypot Nr. 1: Der Nahe Osten. "Die Schlachtfelder Syriens und des Iraks sind zu Magneten für Islamisten aus aller Welt geworden", schreibt Die Zeit. "Tausende militante Islamisten aus aller Welt haben sich seit 2012 dschihadistischen Gruppen in Syrien angeschlossen." [1] Eine schier unfassbar kluge Politik. Denn wenn alle Terroristen der Erde in die syrisch-irakische Wüste geströmt sind, wird das Gebiet blitzschnell abgeriegelt und mithilfe einer 20 Meter hohen Mauer, dem Walter Ulbricht-Gedächtnis-Schutzwall, hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt. Bis dahin wiegt der US-Präsident den Islamischen Staat mit einem Dementi in scheinbarer Sicherheit: "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!" Schwupp, schon schnappt die Falle zu.

Liebe Leserinnen und Leser, Sie können sich künftig an den Stränden Somalias seelenruhig in die Sonne legen, ohne Angst vor - der Urlaubsfreude abträglichen - Anschlägen oder Entführungen haben zu müssen. Die Terroristen sind ja alle in der syrisch-irakischen Wüste eingesperrt. Dafür bekommt Barack Obama 2015 bestimmt seinen zweiten Friedensnobelpreis. Einen, den er sich dann - im Gegensatz zum ersten - sogar redlich verdient hat. Sie werden begeistert mit dem Finger schnalzen. Einziger Wermutstropfen: Es kann noch ein paar Monate voller Grauen dauern, bis wirklich alle Terroristen an ihrem Bestimmungsort angekommen sind.

Honeypot Nr. 2: Die Ukraine. Wie stürzt man Wladimir Putin am elegantesten? Na klar, indem man ihn nach Kiew lockt. Vor kurzem soll er ja José Manuel Barroso gegenüber erwähnt haben, er könne dort innerhalb von 14 Tagen einmarschieren. Wissen Sie noch, wie die Russen Napoleon Bonaparte fertiggemacht haben? Die haben ihn nach Moskau gelockt. Und er ist prompt darauf hereingefallen. Als er 1812 mit der Grande Armée die russische Metropole eroberte, waren die Einwohner längst geflohen. Bekanntlich der Anfang vom Ende des französischen Kaisers. Wo der Schlusspunkt gesetzt wurde, hat man Ihnen im Geschichtsunterricht beigebracht: in Waterloo (nicht das W. von Abba, sondern das W. in Belgien: "Ich wollte, es wäre Nacht oder die Preußen kämen").

Genau so wird es Putin in der ukrainischen Hauptstadt ergehen. Er findet, angestachelt von den Hetztiraden des Nato-Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen, mit seinen momentan weniger "höflichen grünen Männchen" lediglich ein menschenleeres Kiew vor. Schwupp, schon schnappt die Falle zu. Es wird sich für Wladimir Wladimirowitsch noch als extrem nachteilig herausstellen, dass er im sowjetischen Geschichtsunterricht bloß bei den Kapiteln "Neurussland" und "Großer Vaterländischer Krieg" aufgepasst hat. Das hat er dann davon. Rasmussen und Barroso werden sich 2016 den Friedensnobelpreis teilen. Einziger Wermutstropfen: Die Deutschen müssen leider im Winter 2014/2015 wegen gekappter Gaspipelines in ihren Wohnungen frieren. Je nach Wetterlage mehr oder weniger. Doch das ist nichts, was mit den Unannehmlichkeiten der Franzosen im winterlichen Moskau anno 1812 auch nur annähernd vergleichbar wäre.

Das World Wide Web ist ja eine große Mitmachmaschine. Und daher dürfen Sie mir ruhig Ihre Vorschläge für andere, möglichst intelligent aufgebaute Honeypots zumailen. Sie sollten sich beispielsweise damit befassen, wohin wir Elisabeth II. locken könnten, damit Prinz Charles endlich, endlich einmal regieren darf. Oder wie wir Robert Mugabe wegbekommen, der regiert in Simbabwe zwar noch nicht ganz so lange wie die Queen (62 Jahre), aber immerhin auch schon seit 1987. Ununterbrochen, versteht sich. Schalke 04, der Meister der Herzen, hat seit Bestehen der Fußballbundesliga nie die Meisterschale gewonnen. Ebenfalls ununterbrochen. Lassen Sie sich was einfallen! Etwa: Pro Meistertitel für die Blauen bekommt Uli Hoeneß sechs Monate Strafnachlass. Was könnte Warren Buffett veranlassen, sein Milliardenvermögen nicht an irgendwelche Stiftungen zu verschleudern, sondern auf mein Girokonto zu überweisen? Da ich es bitter nötig habe, hat dieser Honigtopf bei Ihren Überlegungen allerhöchste Priorität. Ich könnte mich veranlasst sehen, Ihnen im Falle des Erfolges großzügig eine Provision von 0,01 Prozent zu gewähren. Na, wenn das für Sie kein attraktiver Honeypot ist...

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[1] Die Zeit-Online vom 04.09.2014