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24. September 2014, von Michael Schöfer
Es ist unbegreiflich


In George Orwells Roman "1984" werden die Bürger nicht nur permanent überwacht, sondern auch sämtliche Nachrichten bewusst manipuliert. Falls Ihnen das bekannt vorkommt, hat das womöglich damit zu tun, dass die Realität die Fiktion längst eingeholt, wenn nicht sogar bereits überholt hat. Stichwort: NSA.

Wissen Sie genau, dass das World Trade Center am 11. September bei Terroranschlägen eingestürzt ist? Waren Sie drüben, haben Sie selbst nachgesehen? Und im Nahen Osten findet vielleicht gar kein Krieg statt, die Terrorgruppe "Islamischer Staat" könnte bloß eine dreiste Lüge sein, die dunkle Mächte gezielt in die Berichterstattung einfließen lassen. Sie hören und lesen von etwas, das in Wahrheit gar nicht existiert. Im Nahen Osten herrscht nämlich seit Jahrzehnten Frieden. Das glauben Sie nicht? Waren Sie in Syrien oder im Irak und haben sich persönlich erkundigt? Natürlich nicht. Sehen Sie...

Wie bitte, Sie halten mich jetzt für vollkommen übergeschnappt? Okay, zugegeben, die Twin Towers sind 2001 kollabiert. In Syrien und Irak herrscht Krieg. Wer es unbedingt mit eigenen Augen sehen will, kann sich gerne in Mossul vom Islamischen Staat köpfen lassen. Ich nehme die eingangs erwähnten Verschwörungstheorien selbstverständlich nicht ernst. Für Klimaskeptiker steht allerdings zweifelsfrei fest, dass es gar keinen Treibhauseffekt gibt. Die anthropogene Erderwärmung, behaupten konservative Lobbyisten, sei reine Fiktion. Sprich: eine Verschwörungstheorie. Sind also die Meldungen, wonach die Konzentration von Klimagasen in der Erdatmosphäre 2013 ein Rekordhoch erreicht hat, allesamt gelogen? Genauso wie der Einsturz der Twin Towers und die Existenz des Islamischen Staates? Wenn Sie über mich anfangs die Nase gerümpft haben, was sagen Sie dann erst über die?

Leider sind die Lobbyisten recht erfolgreich: "Mehr als 100 Staats- und Regierungschefs haben beim UN-Klimagipfel mehr Engagement gegen die Erderwärmung versprochen. Auch die USA und China, die Nationen mit dem höchsten Treibhausgasausstoß, versprachen in New York mehr Anstrengungen gegen den Klimawandel." [1] Doch der Klimagipfel ging abermals ohne ein verbindliches Abkommen über die Reduzierung von Treibhausgasen zu Ende. Obama bekommt in Washington für wirksame Klimaschutzmaßnahmen gar keine parlamentarische Mehrheit zustande. Von notorischen Klimasündern wie China, mittlerweile der größte CO2-Emittent, ganz zu schweigen. Wieder nur nutzlos Zeit verplempert, erneut lediglich große Worte und nichts dahinter. Das Ganze ist furchtbar enttäuschend und einfach unbegreiflich, die Menschheit rennt sehenden Auges in die Klimakatastrophe.

Das grausame Wüten des Islamischen Staates? Die bedrohliche Ausbreitung von Ebola? Die Folgen der Klimaerwärmung werden viel schlimmer sein! So unglaublich es klingt, man wird sich dereinst nach der - retrospektiv betrachtet - ach so ruhigen Welt des Jahres 2014 zurücksehnen. Wahrscheinlich sind die meisten von uns dann längst tot, aber unsere Kinder oder Enkel werden es bestimmt noch zu ihren Lebzeiten miterleben. Sie werden fassungslos ihren Geschichtsbüchern entnehmen, dass es Anfang des 21. Jahrhunderts tatsächlich höchst einflussreiche Menschen gab, die den Treibhauseffekt als Lüge bezeichneten. Und dass wir trotz all unserer Erkenntnisse eine Politik des ewigen Wachstums verfolgten. Gewiss, es ist nicht zu spät. Doch wie lange können wir das noch sagen? Die Zeit wird langsam verdammt knapp.

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[1] Der Standard vom 24.09.2014