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26. September 2014, von Michael Schöfer
Der schlagende Beweis


Nach einer Untersuchung von US-Wissenschaftlern der George-Washington-Universität und der University of Pennsylvania haben viele Bürger wenig Ahnung vom Geld und dessen Anlagemöglichkeiten. Die Befragten sollten drei relativ einfache Fragen zur Zinsberechnung und zum Risiko von Aktien beantworten. In Russland haben 96 Prozent mindestens eine davon falsch beantwortet, in Schweden 79 Prozent, in den USA 70 Prozent und in Deutschland 47 Prozent. Die Wissenschaftler kamen deshalb zum Resümee: "Die Zahl der Finanz-Analphabeten ist weltweit also ziemlich hoch." [1] Österreichische Bürger wurden zwar nicht befragt, "aufgrund bisheriger Ergebnisse bei ähnlichen Tests kann aber angenommen werden, dass Herr und Frau Österreich ähnlich schlecht abgeschnitten hätten", schreibt der Standard. Bedauerlicherweise gehören ausgerechnet die Redakteure des linksliberalen Blattes dazu.

"Pannen-Update kostet Apple 24 Milliarden", titelte die Zeitung am gleichen Tag. Was war passiert? Der Computer-Konzern aus Cupertino hatte ein fehlerhaftes Update des Betriebssystems für das iPhone veröffentlicht und musste es nach zahlreichen Beschwerden von Kunden wieder zurückziehen. Shit happens. "Apple-Aktien waren am Donnerstag um vier Prozent abgesackt. Dadurch hatte das Unternehmen aus dem Silicon Valley rund 24 Milliarden Dollar an Börsenwert verloren", erläuterten die Redakteure. [2]

Sorry, liebe Redaktion, aber Apple hat, anders als es die Schlagzeile suggeriert, überhaupt nichts verloren. Höchstens ein bisschen Reputation, aber gewiss kein Geld. Jedenfalls nicht wegen dem vorübergehend gesunkenen Börsenkurs. Die Anteilsscheine des Unternehmens befinden sich nämlich in den Händen der Aktionäre, dem Unternehmensprofil von Finanzen.net zufolge zu 99,88 Prozent im Streubesitz. Geht der Börsenkurs zurück, braucht das die Firma mit dem Apfel-Logo zunächst nicht zu stören. Wichtig für das Unternehmen ist in erster Linie die Ertragslage, also der Cashflow und daraus resultierend der Gewinn. Solange Apple genug Produkte absetzt und damit Profite generiert, können temporär sinkende Börsenkurse die Firma völlig kalt lassen. So etwas gehört vielmehr zur üblichen Volatilität des Aktienmarktes.

Genaugenommen verlieren selbst die Aktionäre keinen einzigen Cent, denn es sinkt lediglich der Buchwert der Aktie. Der Börsenkurs ist erst dann relevant, wenn man das Papier verkauft. Solange es bloß im Depot liegt, schadet das Sinken des Buchwertes keinem. (Hinweis: Bei den sogenannten Institutionellen Anlegern kommt allerdings bei der Bilanzierung das Niederstwertprinzip zum Tragen.) Umgekehrt ist man bei steigenden Börsenkursen ja auch nicht reicher, weil Kursgewinne schließlich ebenfalls erst beim Verkauf realisiert werden. Aktionäre fühlen sich daher höchstens ärmer bzw. reicher, wenn sie das Auf und Ab ihrer Aktie mitverfolgen, sind es aber nicht.

Die Zahl der Finanz-Analphabeten ist weltweit ziemlich hoch. Stimmt, aber anscheinend höher als angenommen. Die Redakteure des Standard gehören offenkundig dazu, sonst wäre die irreführende Schlagzeile unterblieben. Anders ausgedrückt: Die Kritiker der Elche sind selber welche. Die Headline ist der schlagende Beweis.

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[1] Der Standard vom 26.09.2014
[2] Der Standard vom 26.09.2014