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27. September 2014, von Michael Schöfer
Die taz ist erschreckend uninformiert


Die taz ist häufig erschreckend uninformiert, Qualitätsjournalismus wird offenbar auch auf der linken Seite des publizistischen Spektrums kleingeschrieben. Ein Beispiel: Als die Bombardements gegen den sogenannten "Islamischen Staat" begannen, schrieb das Blatt: "Ironie der Geschichte: Die Kampfbomber, die die IS-Artilleriestellungen nun beschießen, steigen vom US-Flugzeugträger 'George H. W. Bush' auf. Dessen Namensgeber aber trägt eine nicht unwesentliche Mitverantwortung für das heutige irakische Chaos." [1]

Von Journalisten sollte man eigentlich bessere Geschichtskenntnisse erwarten. Der Flugzeugträger ist nämlich nach dem 41. Präsident der Vereinigten Staaten, George Herbert Walker Bush, benannt. Der hat zwar 1991 Saddam Husseins Armee völkerrechtskonform aus Kuwait vertrieben (Zweiter Golfkrieg, Operation Desert Storm), ist aber nicht für das gegenwärtige Chaos im Irak verantwortlich. Das verursachte bekanntlich sein Sohn, George Walker Bush, der 43. Präsident der Vereinigten Staaten, als dieser 2003 völkerrechtswidrig den Dritten Golfkrieg entfachte und anschließend das Land besetzte. Mein Gott, denkt man als Leser, das muss man doch wissen. Zumal als Journalist, das gehört doch bei denen zum Kleinen Einmaleins.

Ein anderes Beispiel: "Thomas Schmid, seinerzeit  taz-Lateinamerika-Redakteur und später Chefredakteur von Springers Welt, brachte zweimal die Spenden nach Zentralamerika", schrieb die taz am 20. September 2014 in einem Artikel über die Spendenaktion "Waffen für El Salvador", für die sich das Blatt Anfang der achtziger Jahre stark machte. In der darauffolgenden Ausgabe dann die peinliche Berichtigung: "Schmid war später taz-Chefredakteur; Chefredakteur von Springers Welt war er nie. Diese Position hatte ein Kollege gleichen Namens inne." [2] Wenn es nicht einen Chefredakteur aus dem eigenen Haus betroffen hätte, wäre die Verwechselung ja noch zu entschuldigen gewesen. Aber dass ein taz-Chefredakteur anschließend kaum Chefredakteur der konservativen Die Welt wird, hätte sich der Autor schon beim Abfassen des Artikels über El Salvador denken können. Zumindest hätte er in der Redaktion Erkundigungen einziehen müssen, ob es diese ungewöhnliche Karriere tatsächlich gab. Hat er aber offensichtlich nicht. Und noch nicht einmal bei Wikipedia nachgeschlagen, die einfachste Form der Recherche.

Bedauerlicherweise versucht die taz ihre eklatanten Informationsdefizite mit Polemik zu kompensieren. Doch das misslingt genauso. Ein weiteres Beispiel: "Gott sei Dank hat sich nun herausgestellt, dass das Bundeskriminalamt (BKA) 'personengebundene Hinweise' in seinen Datenbanken sammelt. Insgesamt anderthalb Millionen Bürgerinnen und Bürger sind erfasst – und kategorisiert. So soll das BKA rund eine Million Menschen als 'BTM-Konsumenten' eingestuft haben, als Leute, die Betäubungsmittel zu sich nehmen. Andere sind der 'Prostitution' verdächtig, selbstredend gibt es auch die Kategorien 'Ausbrecher', 'Landstreicher', 'Rocker', 'Sexualtäter' und 'Straftäter – linksmotiviert'. Hinzu kommen zusätzliche Warnhinweise wie 'Ansteckungsgefahr', 'Bewaffnet' oder 'Explosivstoffgefahr'", lesen wir in der taz. [3] Aber es kommt noch schlimmer: "Welche Gefahr von den über 8.000 bei der Inpol-Datenbank registrierten 'Geisteskranken' ausgeht, ist fraglich – das BKA sieht hier Geister und lässt sich davon erschrecken wie Menschen zu Zeiten vor der Aufklärung." [4] Mit Verlaub, das ist riesengroßer Bullshit.

Die Datenbanken des BKA sind zugegebenermaßen nicht unproblematisch, das sind derart sensible Informationssysteme freilich nie, egal ob in privaten oder staatlichen Händen. Doch das Ganze als neu darzustellen ("Gott sei Dank hat sich nun herausgestellt"), ist vollkommen falsch. Und die "personengebundenen Hinweise" obendrein zu einem Datenskandal à la Snowden aufzublasen, ist ebenso unangebracht. Hätte sich der offenkundig von jeglichem Sachverstand unbelastete Redakteur vorher nur ein bisschen informiert, wäre er im Internet (die taz hat hoffentlich einen Zugang) auf die entsprechende Rechtsgrundlage gestoßen: Das ist das "Gesetz über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten". § 7 Abs. 8 sagt: "Das Bundeskriminalamt kann in den Fällen, in denen in einer Datei bereits Daten zu einer Person gespeichert sind, hierzu auch solche personengebundenen Hinweise speichern, die zum Schutz dieser Person oder zur Eigensicherung von Beamten erforderlich sind." Die Betonung liegt auf "in den Fällen, in denen in einer Datei bereits Daten zu einer Person gespeichert sind". Es müssen also schon Vorgänge, die zu einer Datenspeicherung geführt haben, in der Regel ein Straftatverdacht, vorhanden sein, bevor die Polizei überhaupt personengebundene Hinweise erfasst. § 9 regelt die Speicherung "zur Fahndung und polizeilichen Beobachtung" zum "Zwecke der Strafverfolgung, des Strafvollzugs, der Strafvollstreckung oder der Abwehr erheblicher Gefahren".

Das BKA-Gesetz (übrigens kein Geheimgesetz) trat bereits am 1. August 1997 in Kraft. Der Antwort auf eine Kleine Anfrage von Abgeordneten der Linken entnehmen wir: "Die Erfassung personengebundener Hinweise (PHW) in INPOL in der heutigen Form geht auf Gremienbeschlüsse der Jahre 1988 bis 1990 zurück und wurde Ende 1990 in INPOL technisch realisiert." [5] (Die Erörterung der vor dem 1.8.1997 geltenden Rechtsgrundlage erscheint mir im vorliegenden Zusammenhang als verzichtbar.) Das BKA-Gesetz und die Bundestagsdrucksache sind nur zwei Quellen von vielen. Die taz hätte also innerhalb kurzer Zeit ohne großen Aufwand herausfinden können, dass die Speicherung von "personengebundenen Hinweisen" weder neu noch rechtswidrig ist. Juristenweisheit: Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung. Ergo ist das, was sich laut taz angeblich erst jetzt herausgestellt hat, bloß ein alter Hut. Die Einführung dieser Hinweise liegt 25 Jahre zurück.

Wäre der taz-Redakteur darüber hinaus Polizist und dienstlich mit Personen konfrontiert, die möglicherweise bewaffnet sind oder von denen eine Ansteckungsgefahr ausgeht (z.B. Hepatitis C), wäre er zweifellos über jeden Warnhinweis froh. Und seine Familie vermutlich ebenfalls. "Das Sein prägt das Bewusstsein", postulierte ein gewisser Karl Marx. Anders ausgedrückt: Jeder beurteilt einen Sachverhalt aus seinem eigenen Blickwinkel. Von Journalisten erwartet man aber gemeinhin, sich ab und an in die Perspektive anderer hineinversetzen zu können. Das, liebe Leserinnen und Leser, ist charakteristisch für Qualitätsjournalismus! Alles andere ist oberflächlicher Boulevard und zeugt lediglich von der zum Himmel schreienden Inkompetenz. Doch will man solche Elaborate wirklich lesen?

Die personengebunden Hinweise werden auch nicht willkürlich oder Pi mal Daumen aufgenommen. Thilo Weichert ist Landesbeauftragter für Datenschutz Schleswig-Holstein sowie Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) und gegenwärtig der renommierteste Behördenkontrolleur Deutschlands. Beim ULD steht über die Vergabe des personengebunden Hinweises "geisteskrank", ich zitiere: "Bei der Vergabe der personengebundenen Hinweise 'Ansteckungsgefahr', 'Geisteskrank', 'Freitodgefahr' ist ein qualifizierter Nachweis eines Arztes, Psychologen usw. notwendig." [6] Das BKA sieht hier also keineswegs "Geister und lässt sich davon erschrecken wie Menschen zu Zeiten vor der Aufklärung", sondern nimmt die Hinweise nur aus begründetem Anlass auf. Ohne ärztliches Attest kein Eintrag. Journalistenweisheit: Ein Blick ins Internet erleichtert das Auffinden von Fakten.

Außerdem hat jede Medaille zwei Seiten: Einerseits wird oft beklagt, dass die Behörden auf dem rechten Auge blind seien und über zu wenig Informationen verfügten. Andererseits tut man in bestimmten Kreisen so, als wäre jede Datensammlung per se verwerflich. Es ist eben immer eine Gratwanderung zwischen der Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze und unseren berechtigten Sicherheitsbedürfnissen. Deutschland ist leider kein Ponyhof. Und das Motto kann ja wohl kaum lauten: "Erkenntnisgewinn über den NSU oder Anhänger des IS gut, aber über Rockerbanden oder Waffenhändler schlecht." Ob jeder Begriff wirklich akzeptabel und notwendig ist, steht auf einem anderen Blatt, doch darüber kann man schließlich diskutieren.

Als Leser fühlt man sich von einer Zeitung, die mit profunder Sachkenntnis glänzt, geschmeichelt, denn echter Qualitätsjournalismus nimmt seine Leserinnen und Leser ernst. Selbst wenn Letztere gelegentlich harsche Kritik äußern. Von solch grotesken Fehlern, wie sie des Öfteren in der taz anzutreffen sind, fühlt man sich hingegen veräppelt. Wenn ein Redakteur nicht einmal in der Lage ist, bei den US-Präsidenten Vater und Sohn auseinanderzuhalten, wie will er uns dann etwa die wesentlich komplexeren Vorgänge im Nahen Osten erläutern? Man fragt sich unwillkürlich: Ist so eine Zeitung das Abo wirklich wert? Von der längst untergegangenen Frankfurter Rundschau früherer Tage kommend, fühle ich mich in der real existierenden Medienlandschaft mehr und mehr heimatlos. Die einen glänzen mit erschreckender Inkompetenz, die anderen sind seit Jahren eindimensional auf den Neoliberalismus eingeschworen. Der ARD-Programmbeirat wiederum kritisiert in Bezug auf die Ukraine sogar die tendenziöse Berichterstattung des eigenen Senders. [7] Bei manchem "Leitmedium" hat man den Eindruck, die Artikel würden im Nato-Hauptquartier geschrieben. Dass russische Zeitungen erkennbar nach der Pfeife des Kreml tanzen, ist kein Trost. Von der freien Presse in Demokratien erwartet man zu Recht ein höheres Maß an Objektivität. Kurzum: Wenn die hiesigen Medien ein Spiegelbild unserer Gesellschaft sind, geht es eindeutig bergab.

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[1] taz vom 10.08.2014
[2] taz vom 22.09.2014
[3] taz vom 25.09.2014
[4] taz vom 27.09.2014
[5] Deutscher Bundestag, Drucksache 17/8530 vom 01.02.2012, PDF-Datei mit 109 kb
[6] Unabhängiges Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein, 4.2 Polizei und Verfassungsschutz, 4.2.1 „@rtus“ – Vorgangsbearbeitungssystem und mehr
[7] Telepolis vom 18.09.2014