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09. Oktober 2014, von Michael Schöfer
Manchmal erscheint Rechtsprechung inkonsistent


Die einen müssen keine Mütze tragen: "Arbeitgeber und Betriebsrat können in einer Betriebsvereinbarung das Tragen einer einheitlichen Dienstkleidung regeln. Wird die Dienstkleidung für Arbeitnehmergruppen unterschiedlich ausgestaltet, verlangt der betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz, dass eine solche Differenzierung entsprechend dem Regelungszweck sachlich gerechtfertigt ist." (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 30. September 2014, 1 AZR 1083/12) Konkret heißt das: Wenn Pilotinnen nicht zum Tragen einer "Cockpit-Mütze" verpflichtet sind, darf man es Piloten nicht vorschreiben.

Die anderen dürfen kein Kopftuch tragen: "Das Tragen eines Kopftuchs als Symbol der Zugehörigkeit zum islamischen Glauben und damit als Kundgabe einer abweichenden Religionszugehörigkeit ist regelmäßig mit der arbeitsvertraglichen Verpflichtung einer in einer Einrichtung der Evangelischen Kirche tätigen Arbeitnehmerin zu neutralem Verhalten nicht vereinbar." (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. September 2014, 5 AZR 611/12) Konkret heißt das: Eine muslimische Krankenschwester muss in einem von der Evangelischen Kirche betriebenen Krankenhaus entweder aufs Kopftuch oder auf ihren Arbeitsplatz verzichten. Ob das Urteil genauso ausgefallen wäre, wenn es sich - Achtung: Gleichheitsgrundsatz! - um einen orthodoxen jüdischen Krankenpfleger gehandelt hätte, der während der Arbeit nicht auf seine Kippa verzichten will?

Klar, juristisch betrachtet wurden bei den Urteilen unterschiedliche Rechtsgrundsätze berührt: Bei den Piloten der Gleichbehandlungsgrundsatz nach Artikel 3 Grundgesetz, bei der muslimischen Krankenschwester Artikel 140 Grundgesetz, der das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften festschreibt. Die Verfassungsväter haben dort die Übernahme der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der Weimarer Reichsverfassung geregelt, diese sind damit auch in der Bundesrepublik bindendes Verfassungsrecht. Doch das Grundgesetz ist inkonsistent, weil das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften anderen Grundrechtsartikeln widerspricht. So maßen sich die Kirchen im Arbeitsrecht mit Verweis auf Artikel 140 GG Dinge an, die sich kein anderer Arbeitgeber leisten könnte.

Von den kirchlichen Mitarbeitern wird die Beachtung der Glaubens- und Moralvorstellungen erwartet. Das hat weitreichende Folgen: Die Wiederverheiratung nach einer Scheidung ist in der katholischen Kirche noch immer ein Kündigungsgrund, die Loyalitätspflichten der Mitarbeiter erstrecken sich somit auch auf den Privatbereich. Die Religionsgemeinschaften berufen sich gerne auf die Religionsfreiheit, doch wenn Beschäftigte das Gleiche tun und aus der Kirche austreten oder konvertieren, riskieren sie eine verhaltensbedingte Kündigung. In den Kirchen gilt weder das Betriebsverfassungs- noch das Personalvertretungsgesetz, deren Mitarbeiter müssen daher mit deutlich abgespeckten Rechten leben. Neuerdings dürfen sie wenigstens streiken - zumindest dann, wenn die Kirchen bei der Tariffindung KEINE Gewerkschaft einbeziehen. Ist freilich eine Gewerkschaft organisatorisch eingebunden und im Streitfall die Entscheidung einer paritätisch besetzten Kommission verbindlich, ist Streiken verboten.

Die Rechtsprechung ändert sich zwar allmählich, führt aber bei kirchlichen Arbeitgebern nach wie vor einen Eiertanz auf. Ob ich geschieden bin und wen ich heirate, in welcher Partei oder Gewerkschaft ich mich engagiere - das muss jedem anderen Arbeitgeber egal sein. Nicht einmal, ob und - wenn ja - in welchem Kleintierzüchterverein oder Swinger-Club ich meine Abende verbringe. Ich darf mich von jeglichem Glauben lossagen oder Buddhist werden. Solche Dinge gehen meinen Arbeitgeber einen feuchten Kehricht an. Und das vollkommen zu Recht. Menschen verkaufen ihre Arbeitskraft, nicht ihre Persönlichkeit. Über Moral lässt sich bekanntlich ohnehin nicht urteilen, die Grenzen setzt hier allein das Strafrecht. Schade, dass sich das im deutschen Arbeitsrecht noch nicht ganz durchgesetzt hat.

Beispiel Kopftuch: "Wenn der Glaube des Arbeitnehmers eine bestimmte Bekleidung vorschreibe, müsse der Arbeitgeber darauf Rücksicht nehmen und gegebenenfalls versuchen, beide Belange in Einklang zu bringen", meint Richard Giesen, Professor für Arbeitsrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. [1] Und: "Der Arbeitgeber muss das Tragen eines Kopftuchs im Betrieb dulden. Die Religionsfreiheit regelmäßig der Unternehmerfreiheit vor - sogar in so sensiblen Bereichen wie im Verkauf. Nur wenn der Arbeitgeber nachweisen kann, dass es zu betrieblichen Störungen oder wirtschaftlichen Einbußen aufgrund des Kopftuchtragens kommt, kann die Abwägung auch anders ausgehen." [2] Aber im öffentlichen Schuldienst und beim Erziehungspersonal in öffentlichen Einrichtungen gilt dies wiederum nicht, weil das Bundesarbeitsgericht hier die staatliche Neutralität bedroht sieht.

Drei Arbeitgeber (Kirchen, Privatunternehmen, Staat) - und es finden sich unterschiedliche Urteile zu dem, was diese jeweils dürfen. Die Kirchen dürfen Symbole anderer Religionen verbieten, die eigenen sind davon natürlich ausgenommen. Bei privaten Arbeitgebern kommt es auf den Kontext an. Und beim Staat sind in bestimmten Einrichtungen alle religiösen Symbole verboten, faktisch richtet sich diese Vorgabe aber fast ausschließlich gegen das Kopftuch von Muslimas. Oder ist Ihnen ein Urteil bekannt, in dem es um das Tragen einer Kippa ging?

Die Welt geht doch nicht unter, wenn Krankenschwestern Kopftücher tragen. Solange sie die Patienten gut versorgen... Das Bundesarbeitsgericht schloss sich hingegen der Ansicht an, die Glaubwürdigkeit der Kirche könnte Schaden nehmen. In meinen Augen verliert sie jedoch durch ihre offenkundige Intoleranz an Glaubwürdigkeit. Im vorliegenden Fall hat die muslimische Krankenschwester als Kompromissvorschlag das Tragen jeder Kopfbedeckung vorgeschlagen: Ein kleines, farblich auf die Schwesterntracht abgestimmtes Kopftuch. Auch eine Kappe wäre okay, sogar eine christliche Nonnenhaube. Das Krankenhaus hat alles abgelehnt.

Mein Fazit: Die Sonderrechte der Kirchen sind unerträglich und sollten endlich abgeschafft werden.

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[1] Focus-Online vom 30.09.2014
[2] Haufe.de vom 23.03.2011