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25. Oktober 2014, von Michael Schöfer
Provinzialismus hoch zwei


Was fällt Ihnen zu Mannheim ein? Quadratestadt? Gut! Für den wohl einzigartigen Grundriss seiner Innenstadt ist Mannheim zu Recht weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Wer das System einmal begriffen hat weiß genau, wo er sich befindet und wo er hin muss. Auswärtige leiden allerdings unter enormen Orientierungsproblemen: Wo und was, bitteschön, ist L 1? Mannheimer wissen sogleich, das ist direkt am Schloss und genau gegenüber dem Landgericht in A 1. Von dort aus ist der Weg zum Herschelbad in U 3 kinderleicht zu erklären. Alles ohne ein einziges Mal den Stadtplan bemühen zu müssen.

Was fällt Ihnen noch zu Mannheim ein? Schiller? Richtig, der hat sich hier ein paar Jahre lang aufgehalten (von 1782 bis 1785) und durfte am Mannheimer Theater sein Stück "Die Räuber" uraufführen. Das Theater gibt es übrigens noch heute und ist weithin bekannt. Ein kultureller Leuchtturm in der von Industriebetrieben geprägten Arbeiterstadt.

Und weiter? Mozart? Weniger gut, denn obgleich man in der Stadtgeschichte nie vergisst, den Namen Wolfgang Amadeus Mozart zu erwähnen, muss man diesbezüglich die Maßstäbe deutlich zurechtrücken. Der Komponist hat hier ganze 176 Tage verbracht und konnte seinen Aufenthalt obendrein als beruflichen Misserfolg verbuchen. Dass Mannheim in Mozarts Biografie dennoch eine bedeutsame Rolle spielte, ist seiner Frau Constanze zu verdanken, die hat nämlich ihren "Wolferl" 1777 in der Quadratestadt kennengelernt. Von herausragender Bedeutung war sicherlich die Geburt des Automobils durch Carl Benz im Jahr 1885, wenngleich sich Mozarts Musik nach wie vor wesentlich angenehmer anhört als das Dröhnen moderner Automobilmotoren.

Seitdem ist nicht mehr viel überregional Bedeutsames passiert - außer vielleicht, dass ein gewisser Oskar Lafontaine 1995 auf dem SPD-Bundesparteitag in Mannheim den damaligen Parteivorsitzenden Rudolf Scharping stürzte und sich selbst inthronisierte. Etwas, das bei den Meilensteinen der Stadtchronik pikanterweise übergangen wird. Möglicherweise deshalb, weil hier seit Gründung der Bundesrepublik politisch fast ausschließlich Sozialdemokraten dominieren. Und bei denen gilt Lafontaine mittlerweile als Persona non grata. Wie dem auch sei, jedenfalls fällt auf: In den Meilensteinen der Stadtchronik wird der SPD-Reichsparteitag von 1906 erwähnt, der historische SPD-Bundesparteitag von 1995 (erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik wurde ein SPD-Vorsitzender abgewählt) dagegen nicht. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Mannheim gibt sich zwar gerne weltläufig, entpuppt sich aber bei näherem Hinsehen als ziemlich kleinkariert und nachtragend.

Stolz sind die Mannheimer auf die Popakademie Baden-Württemberg, weniger stolz sind sie neuerdings auf deren Mitinitiator Xavier Naidoo, der zuletzt mit verqueren politischen Aussagen Negativschlagzeilen machte.

Aus meiner Sicht war's das im Wesentlichen. Ansonsten ist die Stadt laut, schmutzig und trägt gerne ungewollt ihren wahrhaft provinziellen Charakter zur Schau. Im hiesigen Lokalblatt "Mannheimer Morgen" liest man oft, dass irgendjemand ganz besonders stolz auf Mannheim ist. "Ich liebe Mannheim", bekennen viele. "Ich liebe keine Stadt, ich liebe meine Frau", hätte Gustav Heinemann erwidert. Aber der war ja kein Mannheimer. Auch die Parole "Mannem vorne" ist häufig zu hören, in der Regel steckt freilich nicht viel dahinter. Mannheim, immerhin die drittgrößte Stadt Baden-Württembergs, wird vielmehr nach eigener Einschätzung von der Landeshauptstadt konsequent benachteiligt. Zwangsläufige Folge: Wenn man nichts vorzuzeigen hat, ist man wenigstens stolz. Auf was auch immer. Offenbar werden auf diese Weise Minderwertigkeitskomplexe kompensiert.

Gelegentlich bereichert uns die Mannheimer Politik mit einer veritablen Provinzposse, beispielsweise der "Froschkönig-Affäre". [1] Und weil das Lokalblatt vor lauter Langeweile selten interessante Schlagzeilen zu bieten hat, fällt den Politikern zum Glück immer wieder etwas Neues ein. Der Fraktionsvorsitzende der SPD-Gemeinderatsfraktion, Ralf Eisenhauer, hat jetzt eine "Residenzpflicht für leitende Angestellte der Stadtverwaltung" gefordert: "Wer für unsere Stadt besondere Verantwortung trägt, muss auch hier leben." [2] Vermutlich wurde in der Fraktion Hochprozentiges ausgeschenkt, anders ist diese - im wahrsten Sinne des Wortes - Schnapsidee nicht zu erklären.

Eisenhauer fordert von den leitenden Mitarbeitern ein klares persönliches Bekenntnis zu Mannheim: "Wer bei der Arbeitgeberin Stadt Mannheim in herausgehobener Position und damit im Dienste unserer Bürgerschaft beschäftigt ist, muss sich auch zum Leben in unserer Stadt bekennen. Kein Manager etwa von Daimler Benz käme auf die Idee, einen BMW zu fahren. Das hat zum einen etwas zu tun mit innerer Loyalität und dem Bekenntnis zu unserer Stadt, zum anderen ist es ein großer Kompetenzverlust, wenn unsere leitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ihren Familien nicht gemeinsam mit uns in dieser Stadt leben, den Alltag und die Sorgen und Nöte unserer Bürgerschaft hautnah erleben und unsere Freizeit- und Kulturangebote teilen." [3] Stellen Sie sich vor: Ferdinand Piëch ist Vorsitzender des Aufsichtsrates der Volkswagen AG, lebt aber überwiegend in Salzburg und nicht in Wolfsburg. Einem Pressebericht zufolge soll er drei rote Renner der italienischen Konkurrenz-Marke Ferrari in der Garage stehen haben. Außerdem fährt er einen Cadillac des US-Herstellers General Motors. So viel zur Substanz von Eisenhauers schrägen Vergleichen. [4]

Die Europäische Union gewährt ihren Bürgern das Recht, sich auf den 4,38 Mio. Quadratkilometern der 28 Mitgliedstaaten frei niederzulassen. Und das Grundgesetz garantiert den Deutschen auf den 357.167 Quadratkilometern des Bundesgebietes Freizügigkeit. Aber im 149 Quadratkilometer kleinen Mannheim soll diese Freiheit schon an der Stadtgrenze enden. Zumindest wenn es nach dem Willen der SPD-Gemeinderatsfraktion geht. Unglaublich. Gemeinderäte müssen in der Gemeinde wohnen. Verständlicherweise, schließlich soll die Stadt nicht fremdbestimmt sein. Stichwort: bürgerschaftliche Selbstverwaltung. Aber Angestellte der Stadtverwaltung? Die vorgeschlagene Residenzpflicht dürfte weder mit dem Grundgesetz noch dem Arbeitsrecht in Einklang zu bringen sein. Wo man wohnt geht nämlich den Arbeitgeber einen feuchten Kehricht an - solange man morgens pünktlich zur Arbeit erscheint. Aus dem Arbeitsvertrag derart weitreichende Loyalitätspflichten abzuleiten, ist für gewöhnlich Merkmal eines Obrigkeitsstaates. Eisenhauers Forderung kommt zweifellos einem Rückgriff in die Mottenkiste der Geschichte gleich.

An welche historische Wurzeln der Sozialdemokrat anknüpft, ist fürwahr erstaunlich: "Die Ursprünge der Residenzpflicht liegen im allgemeinen Ständerecht. Zum ersten Mal wurde sie 1735 in einem Erlass des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I. formuliert. Für beamtete Staatsdiener wurde die Residenzpflicht insbesondere im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 formuliert. Danach durften Beamte ohne Genehmigung eines Vorgesetzten den ihnen angewiesenen Wohnort nicht verlassen." [5] Heutzutage findet man sie faktisch nur noch bei den Kirchen, den Notaren (§ 10 Bundesnotarordnung) und in abgeschwächter Form bei den Beamten (§ 72 Bundesbeamtengesetz). Wie Eisenhauer überhaupt auf den absurden Gedanken kommt, wegen dem von ihm geforderten Bekenntnis zur Stadt Mannheim sei ein solch schwerwiegender Grundrechtseingriff statthaft, ist vollkommen schleierhaft.

Der Vorschlag, eine Residenzpflicht für leitende Mitarbeiter der Stadtverwaltung einzuführen, ist Populismus pur. Es ist weit gekommen mit der SPD, wenn man diesbezüglich sogar der CDU recht geben muss: "'Wir können und wollen den Menschen nicht vorschreiben, wo und wie sie zu leben haben. Natürlich freuen wir uns und werben dafür, Mannheim als seinen Lebensmittelpunkt zu wählen, aber wir schreiben niemanden vor, wie und wo er sein Leben zu gestalten hat', betont CDU-Kreisvorsitzender Nikolas Löbel." [6] Offenkundig profitiert Nikolas Löbel davon, an der Uni Mannheim Jura studiert zu haben - im Gegensatz zum Diplom-Geologen und Diplom-Wirtschaftsingenieur Ralf Eisenhauer.

Das Logo der Stadt Mannheim ist "Mannheim hoch 2". Anders ausgedrückt: "Mannheim im Quadrat". Es soll die Quadratur der Straßen der Innenstadt symbolisieren, die hochgestellte 2 steht aber angeblich auch für das Potenzial der Stadt: "Kultur hoch zwei", "Wissenschaft hoch zwei" und "Mannheim ist Leben hoch zwei". [7] Was man sich halt in den PR-Agenturen an Sprüchen so ausdenkt. Egal wie man dazu stehen mag, die Residenzpflicht Eisenhauers ist jedenfalls "Provinzialismus hoch 2". Oder auf den Punkt gebracht: "Provinzialismus in der Quadratestadt".

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[1] siehe Old Schwurhand - eine Provinzposse aus "Monnem" vom 20.06.2005
[2] Mannheimer Morgen vom 25.10.2014
[3] SPD-Kreisverband Mannheim vom 24.10.2014
[4] Auto, Motor, Sport vom 19.11.2011
[5] Wikipedia, Residenzpflicht (Beruf)
[6] Mannheimer Morgen vom 25.10.2014
[7] Wikipedia, Mannheim, Wappen