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| Impressum 14. Dezember 2014, von Michael Schöfer Schuld und Sühne Pyrrhon von Elis (360-275 v. Chr.) gilt als einer der ersten Folterskeptiker. Auch Aristoteles (384-322 v. Chr.) hat bereits auf den geringen Beweiswert der Folter hingewiesen. Viele würden sich nur belasten, weil sie die Schmerzen nicht mehr ertragen könnten. Folter muss also schon in der Antike eine ebenso gebräuchliche wie umstrittene Praxis gewesen sein. Dabei kritisierten Pyrrhon und Aristoteles die Folter wohl eher wegen ihrer mangelnden Zweckmäßigkeit, weniger aus humanitären Gesichtspunkten. Dessen ungeachtet hat die Folter die Menschheit bis in unsere Tage hinein begleitet, seit Inkrafttreten der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) ist sie allerdings weltweit verboten: "Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden." (Artikel 5 AEMR) Dennoch halten sich nicht alle daran - nicht einmal diejenigen, die gemeinhin die Menschenrechte wie eine Monstranz vor sich hertragen. Zumindest dann, wenn es ihnen opportun erscheint. Folter ist nicht nur - siehe Aristoteles - unpraktisch, sondern auch absolut inhuman. "Wir, das Volk der Vereinigten Staaten, von der Absicht geleitet, (...) die Gerechtigkeit zu verwirklichen..." So beginnt die Verfassung der USA. [1] Der 8. Zusatzartikel verbietet "grausame oder ungewöhnliche Strafen", die Anwendung der Folter fällt ebenfalls unter diesen Verfassungszusatz. Wie der CIA-Folterbericht des US-Senats belegt, hat die Vormacht der "westlichen Wertegemeinschaft" nach 9/11 sämtliche rechtsstaatlichen Grundsätze über Bord geworfen. Noch schlimmer: George W. Bush und Dick Cheney verteidigen dieses Vorgehen bis heute. Sie handelten nach dem Motto: "Der Zweck heiligt die Mittel." Genau das widerspricht aber unserem Rechtsverständnis. Humanisten foltern nicht. Nicht nur, weil Folter verboten ist, sondern weil sie unmenschlich ist. Genauso wenig wie man Frauen vergewaltigt, selbst wenn es keine Gesetze gegen Vergewaltigung gäbe. Auf diesem moralischen Fundament, angefangen von der Magna Carta, über den Habeas Corpus Act, die Bill of Rights sowie die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte bis zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union (um nur die wichtigsten Wegmarken zu nennen), ruht unsere gesamte westliche Zivilisation. Anders ausgedrückt: Die Werte der Wertegemeinschaft. Demokratie ohne Grundrechte? Undenkbar! Hierzulande gibt es das Völkerstrafgesetzbuch, das Straftaten gegen das Völkerrecht verfolgbar macht, egal wo sie stattfinden und wer sie verübt. Und das selbst dann, "wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezug zum Inland aufweist" (§ 1). In § 7 (Verbrechen gegen die Menschlichkeit) werden u.a. folgende Handlungen als Straftaten gegen das Völkerrecht definiert:
Es gibt das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Die UN-Antifolterkonvention [2] wurde auch von den Vereinigten Staaten ratifiziert, und zwar am 21. Oktober 1994.
Es gibt aber auch die Furcht vor dem Freund. Alle Verbündeten haben Angst, die USA an die Einhaltung ihrer Verpflichtungen auch nur zu erinnern. Washington könnte ja beleidigt reagieren. Von der Einleitung von Ermittlungen respektive der Anklageerhebung gegen die Täter ganz zu schweigen. Das Recht hat offenbar vor der Macht kapituliert. Oder ist es insgeheim Komplizenschaft? Zyniker, für die der Zweck die Mittel heiligt, gibt es schließlich nicht nur in Amerika. Wie dem auch sei, Bush und Cheney sind jedenfalls keine Demokraten oder Humanisten, sie sind vielmehr Verbrecher. Sie werden bloß nicht bestraft, weil man ihnen in den USA keinen Prozess macht. Trotz des unmissverständlichen Gebots der amerikanischen Verfassung und trotz des Folterverbots in internationalen Übereinkünften. Normalerweise wäre das ein Fall für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, den die USA freilich strikt ablehnen. Angesichts des ungesetzlichen Verhaltens amerikanischer Politiker wenig verwunderlich. Deshalb werden die politisch Verantwortlichen wahrscheinlich ebenso wenig zur Rechenschaft gezogen, wie die Folterknechte des US-Geheimdienstes. Und das nur, weil die Vereinigten Staaten das mächtigste Land der Erde sind und niemand sie zu irgendetwas zwingen kann. Wie heißt es so schön in den Sonntagsreden unserer Politiker: Die Stärke des Rechts müsse über das vermeintliche Recht des Stärkeren siegen. Vollkommen richtig! Oh, Verzeihung, ich vergaß, das gilt natürlich nur für Wladimir Putin... [4] Wie bin ich nur auf die dumme Idee gekommen, dieses Prinzip könnte auch für westliche Regierungen gelten? Unbegreiflich. Die DDR war selbstverständlich ein Unrechtsstaat. Was denn sonst? Und in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen (ehemaliger Stasi-Knast) bekommt man einen Eindruck davon, wie man dort politische Gefangene physisch und psychisch gefoltert hat. Erich Honecker wurde nach dem Fall der Mauer der Prozess gemacht, wenngleich hauptsächlich wegen den Mauertoten. Er profitierte von der Nachsicht des humanen Rechtsstaats, seine Krebserkrankung hat ihn vor der Verurteilung gerettet. Bush und Cheney dürfen dagegen weiterhin ihre Freiheit genießen und obendrein auch noch ihre Verbrechen rechtfertigen. Bei ihnen versagt der Rechtsstaat, weil er sie nicht einmal anklagt. Wenn zwei das Gleiche tun, ist das noch lange nicht dasselbe. Sie stehen damit faktisch über dem Gesetz. In hohem Maße bedenklich: Nicht wenige Amerikaner applaudieren ihnen sogar. Aus dem Hades dringt Hohngelächter empor (manche wollen dabei die Stimme von Thomas Jefferson erkannt haben). In seinem Roman "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" lässt Milan Kundera seine Hauptfigur die Frage nach der Schuld mit der Sage des Ödipus beantworten. "Ödipus wusste nicht, dass er mit der eigenen Mutter schlief, und als ihm klar wurde, was geschehen war, fühlte er sich dennoch nicht unschuldig. Er konnte den Blick auf das Unglück, das er unwissend verursacht hatte, nicht ertragen, stach sich die Augen aus und verließ Theben als Blinder. (…) Es gibt keine Ausrede. Niemand war in seinem Inneren unschuldiger als Ödipus. Und trotzdem hat er sich selbst bestraft, als er einsah, was er getan hatte." [5] Die selbstauferlegte Strafe ist zweifellos barbarisch und wenig empfehlenswert. Die Crux ist jedoch, dass sich heute keiner mehr schuldig fühlt, egal was er anrichtet. Auch dann nicht, wenn er Menschen foltert. Der Krieg gegen den Terrorismus rechtfertigt angeblich alles. Haben wir seit der Antike wirklich keine Fortschritte gemacht? ---------- [1] Botschaft der USA in Deutschland, PDF-Datei mit 196 kb [2] Auswärtiges Amt, PDF-Datei mit 43 kb [3] Wikipedia, UN-Antifolterkonvention [4] siehe FAZ.Net vom 26.11.2014 [5] Milan Kundera, Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, Frankfurt am Main 1987, Seite 169 und 209 |