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07. Januar 2015, von Michael Schöfer
Wahrheit wird niemals durch Gewalt widerlegt


Der Mensch ist eine recht eigentümliche Spezies. Es gibt wohl keine andere auf diesem Planeten, deren innerartliche Destruktivität so ausgeprägt ist. Wir schlagen uns seit jeher gegenseitig die Köpfe ein. Oft aus den nichtigsten Gründen. Und der Spaß, seine Mitmenschen zu foltern, ist dem Homo sapiens offenkundig ebenfalls naturgegeben. Auch diese Bestialität existiert seit Jahrtausenden. Zudem glauben die meisten an irgendeinen Gott. Einige sind bereit, für ihn die grausamsten Verbrechen zu begehen. Aber meiner Ansicht nach gibt es überhaupt keinen Gott, die Fanatiker töten demzufolge lediglich für eine Illusion. Man greift sich buchstäblich an den Kopf. Extraterrestrische Beobachter würden für diese sonderbare Spezies keinen Pfifferling geben, am besten sie stürbe aus. Doch wir Menschen wissen, wie fürsorglich und altruistisch unsere Art sein kann, zu welch großen kulturellen Leistungen sie fähig ist. Dennoch bleibt beim Blick auf den Homo sapiens ein zwiespältiger Eindruck zurück. Das Doppelgesicht, das die Römer in der Antike ihrem Gott Janus zuschrieben - es gehört uns selbst, keinem anderen.

Nach dem Terroranschlag auf die Satirezeitung "Charlie Hebdo" in Paris werden die Islamhasser jetzt bestimmt Auftrieb bekommen. Und man muss ihnen in einem sogar recht geben: Es gibt wohl kaum einen Grund, für den häufiger getötet wurde, als für die Religion. Damit sind wohlgemerkt alle Religionen gemeint. Denn auch im Namen des Christentums wurde massenhaft gemordet und gefoltert, das liegt bloß schon ein paar Jahrhunderte zurück. Kurios: Die RAF (Rote Armee Fraktion) hat 34 Menschen auf dem Gewissen und ist zu Recht verboten. Schätzungen über die Opfer der römisch-katholischen Inquisition schwanken zwischen einer und zehn Millionen. Wäre Religionsfreiheit kein Grundrecht, müsste man sämtliche Religionen ächten. Doch die menschliche Phantasie würde dann gewiss andere Gründe finden, um weiterhin der Mordlust frönen zu können. Die Nazis sind hierfür das beste Beispiel, von den Kommunisten ganz zu schweigen.

Der Mensch kann sich davon nur durch die Vernunft frei machen. Und genau so sollten wir nach diesem schlimmen Anschlag auf die Presse- und Meinungsfreiheit reagieren: mit Vernunft, nicht mit Emotionen. Auch wenn es schwerfällt. Es gehört untrennbar zur abendländischen Aufklärung, dass nur die Täter und ggf. deren Auftraggeber als Individuen verantwortlich sind. Es ist absolut falsch, pauschal eine Gruppe der Mittäterschaft zu beschuldigen. Das gilt generell und ohne Ausnahme, seien es nun Juden, Christen, Muslime oder Atheisten. Ich bin sicher, dass die meisten, egal welche Überzeugung sie in ihrem Herzen tragen, den Anschlag auf die Satirezeitung verurteilen. Manche unter uns werden ihn vielleicht begrüßen, gegen die müssen wir uns wenden. Aber nur gegen die, und zwar alle gemeinsam. Wenn wir jetzt nicht vernünftig, sondern emotional reagieren, fliegt uns womöglich der ganze Laden in die Luft. "Vernunft ist die Fähigkeit, objektiv zu denken", schrieb einst der Psychoanalytiker Erich Fromm. Und: "Wahrheit wird niemals durch Gewalt widerlegt."