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10. Januar 2015, von Michael Schöfer
Nur ein krudes Vorurteil?


Manche scheinen sich ja inzwischen gedanklich luftdicht eingemauert zu haben. Wenn irgendwo etwas passiert, vermuten sie als Drahtzieher stets dunkle Mächte im Hintergrund. Die Medien seien natürlich "gleichgeschaltet", abfällig sprechen sie nur noch von der "Mainstreampresse". Das ist nicht weit weg vom Etikett "Lügenpresse", das PEGIDA derzeit recht großzügig zu verteilen bereit ist. Überhaupt ist alles irgendwie "Meinungsmache". An den gegenüberliegenden Rändern des politischen Spektrums ist man sich offenbar näher als man denkt.

So jetzt auch in Bezug auf den Anschlag auf das französische Satireblatt "Charlie Hebdo". Man habe Zweifel und kenne nicht die wahren Täter, ist zwei Tage nach dem Anschlag zu lesen. Die Brüder Kouachi seien bislang nur Verdächtige und niemand kenne ihre Motive. Daraus, dass sie Zeugen zufolge "Allahu Akbar" und "Wir haben den Propheten gerächt!" gerufen haben, dürfe man nichts über die wahren Hintergründe ableiten. Einer der beiden Brüder hat bei der Tat seinen Ausweis verloren, was jedenfalls äußerst verdächtig sei. Wer nimmt schon seinen Ausweis mit, wenn er Zeitungsredakteure mit der Kalaschnikow niederzumähen gedenkt? Deshalb sei nicht auszuschließen, dass Geheimdienste in den Anschlag verwickelt sein könnten. [1]

Da muss man erst mal tief Luft holen. Saïd Kouachi soll mehrere Monate im Jemen in einem Ausbildungslager von Al-Qaida-Verbündeten verbracht haben. Fehlt jetzt bloß noch der Hinweis, auch daraus dürfe man keine voreiligen Schlussfolgerungen ziehen. Denn ist auszuschließen, dass es sich dabei um einen harmlosen Badeurlaub am Roten Meer gehandelt hat? Nein, auszuschließen ist tatsächlich nichts... Man kann aber auch nicht ausschließen, dass sich einige gedanklich furchtbar verrannt haben. Und aus diesem selbst errichteten Gefängnis kommen sie nur schwer wieder heraus.

Ich habe hier oft genug betont, man müsse zwischen der Mehrheit der friedlichen Muslime und den radikalen Islamisten differenzieren. Aber ist die Aussage, man fühle sich "vom Islam" bedroht, wirklich mit Islamfeindlichkeit gleichzusetzen? Das hat nämlich die Bertelsmann-Stiftung vor kurzem die nichtmuslimischen Bundesbürger gefragt. 57 Prozent empfinden ihn inzwischen als Bedrohung, 61 Prozent meinen sogar, er passe nicht in die westliche Welt.

Nun ist das ja mit Umfragen so eine Sache, die Antworten fallen oft so aus, wie vorher gefragt wurde. Und Fragen können durchaus manipulativ sein. Bestes Beispiel: "Schlagen Sie noch Ihre Frau? Ja oder nein?" Wer wird darauf schon mit "Ja" antworten und sich als Brutalo outen? Aber auch wer mit "Nein" antwortet gibt implizit zu, seine Frau zumindest in der Vergangenheit geschlagen zu haben. Man müsste mit "Ich habe meine Frau noch nie geschlagen" antworten, aber diese Option ist bei manipulativen Umfragen gar nicht vorgesehen. Zweifellos ein krasses Beispiel, meist wird wesentlich subtiler manipuliert.

Laut ZDF hat Bertelsmann gefragt: "Als wie bedrohlich bzw. wie bereichernd nehmen Sie den Islam wahr?" [2] Da hätte auch ich geantwortet, den Islam als Bedrohung wahrzunehmen. Und das nicht erst seit "Charlie Hebdo". Hätte Bertelsmann hingegen gefragt "Fühlen Sie sich vom Islam oder den Islamisten bedroht?", wäre das Ganze vermutlich etwas anders ausgefallen. Aber wer schon bei der Frage keine Differenzierungsmöglichkeit anbietet, braucht sich über undifferenzierte Antworten nicht zu wundern.

Und wer sich in der Geschichte ein bisschen auskennt, weiß bestimmt, wie sehr die islamische Welt das sogenannte Abendland bereichert hat. Nur ist das halt schon ein paar Jahrhunderte her. Mittlerweile ist der Islam, allen Schattierungen zum Trotz, in Dogmatismus erstarrt. In Saudi-Arabien, dessen König als Hüter der heiligen Stätten gilt, soll ein Journalist mit 1.000 Peitschenhieben bestraft werden, weil er ein islamkritisches Online-Debattenmagazin gegründet hat. [3] Da ist von Bereicherung beim besten Willen nichts mehr zu spüren, vielmehr ist die Angst vor so einem Islam in meinen Augen verständlich. Ich persönlich halte ja Religionen generell für wenig bereichernd. Doch das nur am Rande.

Von denjenigen, die uns ermahnen, man dürfe aus dem Anschlag auf "Charlie Hebdo" keine voreiligen Schlüsse ziehen, schallt uns auch entgegen: Das sei keine bloße Islamfeindlichkeit mehr, sondern Rassismus. [4] Die ganz große Keule eben, wie so oft. Doch dahinter verbirgt sich Maulheldentum. Denn dafür, ob das Bedrohungsgefühl echt oder nur Ausdruck von Vorurteilen ist, gibt es einen einfachen Test: Man nehme eine Jesus-Karikatur, etwa die der Satirezeitschrift "Titanic", und eine Mohammed-Karikatur des dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard. Frage: Welche von beiden würden Sie angstfrei auf Ihrer eigenen Website veröffentlichen? Diejenigen, die uns weismachen wollen, das Bedrohungsgefühl gegenüber dem Islam beruhe lediglich auf einem kruden Vorurteil, können uns ja mal ihren Mut demonstrieren. Taten sind bekanntlich der Lackmustest, große Sprüche machen und andere leichtfertig verurteilen kann jeder.

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[1] u.a. NachDenkSeiten vom 09.01.2015, Mit dem Wissen wächst der Zweifel
[2] ZDF vom 10.01.2015
[3] Spiegel-Online vom 08.01.2015

[4] NachDenkSeiten vom 09.01.2015, Hinweise des Tages, Nr. 1 e