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15. März 2015, von Michael Schöfer
Schäuble fehlt die notwendige Souveränität


Das Zeitalter der Vernunft? Definitiv nicht anno 2015! Schauen Sie sich doch bloß unsere Politiker an: Panos Kammenos holzt gegen Wolfgang Schäuble, Wolfgang Schäuble
wiederum grätscht von hinten Yanis Varoufakis in die Beine. Wie Schulbuben in der Hofpause. Hau drauf! Aber kräftig! Die Auflösungserscheinungen sind unverkennbar, Kulturpessimisten haben Hochkonjunktur. Man sehnt sich förmlich nach der Noblesse eines Richard von Weizsäcker, der in der Öffentlichkeit nie die Contenance verlor und bei Konflikten mit einer bewundernswerten Nonchalance persönliche Befindlichkeiten zurückstellen konnte. Vielleicht hatte es mit seinem Beruf zu tun, Weizsäcker war Jurist. Wenn Anwälte nur diejenigen verteidigen würden, die ihnen sympathisch sind, würden sie wohl ausnahmslos Hartz IV beziehen. Nein, es ist vielmehr ihre ureigenste Aufgabe, selbst dem schlimmsten Rechtsbrecher vor Gericht beizustehen, weil ein Rechtsstaat gar nicht anders funktionieren kann. Persönliche Befindlichkeiten haben hier nichts zu suchen. Dies auseinanderzuhalten gehört zum Beruf des Juristen. Und des Politikers.

Wolfgang Schäuble ist ebenfalls Jurist, doch ihm gelingt es derzeit kaum, seine persönlichen Befindlichkeiten zu verbergen. Wie herablassend unser Bundesfinanzminister sein kann, bekamen wir bereits vor ein paar Jahren demonstriert, als Schäuble seinen Ministeriumssprecher auf einer Pressekonferenz öffentlich zusammenfaltete: "Reden Sie nicht, Herr Offer..." [Youtube-Video] Nun trifft es den griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis: "Aber das hat er [Varoufakis] ja schon unterschrieben, in der Erklärung vom 20. Februar, er muss sie mal lesen. Ich bin notfalls bereit, ihm nochmal ein Exemplar zur Verfügung zu stellen." [Youtube-Video] "Eigentlich bist Du uns erst einmal so vorgekommen als einer, der … in Sachen Kommunikation hast Du auf uns einen stärkeren Eindruck gemacht als in der Substanz", berichtete er mit einem süffisanten Lächeln der Presse über ein persönliches Gespräch mit seinem griechischen Amtskollegen. Substanz, aha! Das sagt, wohlgemerkt, der Jurist Schäuble über den Wirtschaftswissenschaftler Varoufakis, der u.a. in Cambridge, Sydney, Glasgow und Austin/Texas unterrichtete.

Auch wenn man anderer Meinung ist und abweichende Ziele verfolgt, darf man als Finanzminister nie derart die Kontrolle über sich verlieren. Zugegeben, manche Äußerungen der griechischen Regierung sind wenig hilfreich, insbesondere die von Verteidigungsminister Kammenos. Dennoch stellt sich die Frage, ob die deutsche Regierung darauf unbedingt mit Arroganz und persönlichen Verletzungen reagieren muss. Man könnte fast den Eindruck bekommen, als bekriegten sich hier Feinde und nicht zwei Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Schäuble sollte sich auf die Sachebene zurückbegeben. Mein Urteil: Wer persönliche Befindlichkeiten nicht hintanstellen kann, ist für ein so hohes Amt ungeeignet.