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03. April 2015, von Michael Schöfer
Immer dieser unnötige Aktionismus


Wenn Flugzeuge aus technischen Gründen verunglücken, kann man darauf wetten, dass die Medien anschließend über Wochen hinweg zahlreiche Meldungen über Störungen bei Flügen verbreiten. Das ist so, als ob die Presse nach einer Massenkarambolage auf der Autobahn quasi über jeden einzelnen Reifenplatzer berichten würde. Dabei sind Flugstörungen an der Tagesordnung und gehen in der Regel glimpflich aus.

Deutsche Luftfahrtunternehmen sind gesetzlich verpflichtet, dem Luftfahrt-Bundesamt jede flugbetriebliche Störung zu melden. Allein im Jahr 2014 gab es 2.483 Störungsmeldungen. [1] Flugunfälle und schwere Störungen wiederum sind der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung zu melden. Welche Vorkommnisse als solche einzustufen sind, definiert § 2 FlUUG (Flugunfall-Untersuchungs-Gesetz). Bei Flugzeugen über 7,5 t gab es im Jahr 2014 insgesamt 23 meldepflichtige Ereignisse, wobei zum Glück nur drei Tote zu beklagen waren. [2] Trotz allem ist das Flugzeug mit Abstand das sicherste Verkehrsmittel.

Dessen ungeachtet versucht selbst die seriöse Presse den Menschen mit Schlagzeilen wie "Die Angst fliegt mit" eine ebensolche einzujagen. [3] Allerdings lassen sich die Menschen kaum verunsichern, die Flugangst ist trotz der Katastrophe der Germanwings-Maschine nur leicht gestiegen, 17 Prozent der Flugreisenden machen sich nun mehr Sorgen als vorher. Lediglich 10 Prozent werden in nächster Zeit weniger oder überhaupt nicht mehr fliegen. [4] Und auch das wird sich erfahrungsgemäß mit der Zeit normalisieren.

Politiker reagieren keineswegs besonnener als die Medien. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hat man die Cockpit-Türen in Passagiermaschinen absichtlich gepanzert. Und das zu Recht, niemand sollte mehr Flugzeuge entführen und in Wolkenkratzer steuern können. Piloten können die Tür zur Pilotenkanzel im Notfall mit einem Zahlencode von außen öffnen - sofern dem von innen nicht mit einem Kippschalter widersprochen wird. Das ist auch sinnvoll, schließlich könnte ein gekidnapptes Besatzungsmitglied unter Zwang den Zahlencode preisgeben, die Panzerung wäre somit vollkommen nutzlos. Im Fall der Germanwings-Maschine hat sich das freilich als fatal erwiesen, denn so konnte der Copilot seinen Kapitän erfolgreich aussperren.

In Kürze wird eine Arbeitsgruppe prüfen, ob man den Mechanismus, mit dessen Hilfe die Cockpit-Tür total verriegelt werden kann, wieder abschaffen soll. [5] Es gibt jedoch keine hundertprozentige Sicherheit, Sicherheitsmaßnahmen liegt stets ein Abwägungsprozess zugrunde. Wie groß ist die Gefahr einer Entführung durch Terroristen? Und wie groß ist die Gefahr durch depressive Piloten? Ein Restrisiko besteht immer. Aber ich glaube, die Gefahr durch Terroristen liegt wesentlich höher. Wir sollten jetzt angesichts dieses zweifellos schlimmen Verbrechens (Mord an 149 Passagieren und Besatzungsmitgliedern) ruhig Blut bewahren und nicht in blinden Aktionismus verfallen. Den Cockpit-Schutz wegen eines tragischen Einzelfalls wieder zu reduzieren, wäre irrsinnig. Auch die von Bundesinnenminister Thomas de Maizière angeregte Ausweispflicht bei Flügen im Schengen-Raum, angeblich ein "riesiges Sicherheitsproblem", fällt unter die Rubrik Aktionismus. Was hätte eine Ausweispflicht im vorliegenden Fall geholfen? Nichts!

Viel wichtiger wäre aus meiner Sicht, die Sicherheitskontrollen auf den Flughäfen generell zu verschärfen. "Bei verdeckten Kontrollen an Deutschlands größtem Flughafen in Frankfurt am Main hat die EU-Kommission nach einem Medienbericht erhebliche Sicherheitsrisiken aufgedeckt. Den Prüfern sei es bei jedem zweiten Versuch gelungen, Waffen oder gefährliche Gegenstände durch die Passagierkontrolle zu schmuggeln." [6] Andere Flughäfen sind ebenfalls betroffen. Die Kontrollmaßnahmen würden von privaten Firmen vorgenommen, deren Personal schlecht ausgebildet sei, beklagt etwa die Gewerkschaft der Polizei. [7] Sicherheitskräfte nach § 5 LuftSiG, die Passagiere auf Flughäfen kontrollieren und durchsuchen dürfen, verdienen derzeit (ohne Zuschläge) einen Stundenlohn zwischen 15,63 Euro (Baden-Württemberg) und 11,80 Euro (Sachsen). [8] Bei monatlich 160 Stunden sind das brutto zwischen 2.500 und 1.888 Euro, netto bei einem Unverheirateten zwischen 1.624,56 und 1.291,58 Euro.

Nicht gerade üppig, insbesondere wenn man in teuren Gegenden wie Frankfurt/Main, München oder Hamburg arbeiten muss. Schlechter Lohn bedeutet logischerweise schlechte Qualität. Für Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, "liegt die eigentliche Ursache für die aufgedeckten Mängel klar auf der Hand: 'Das Kernproblem heißt in diesem Sektor Privatisierung.'"
[9] In einem Bereich mit hoher Sicherheitsrelevanz wie den Kontrollen auf Flughäfen hätten nach seiner Überzeugung private Unternehmen nichts verloren. Von Bemühungen Thomas de Maizières, die Fluggastkontrollen wieder in den Hoheitsbereich des Staates zurückzuholen, ist mir allerdings nichts bekannt. Sicherheit kostet eben Geld. Doch höhere Ausgaben will man offenbar, Germanwings-Crash hin oder her, lieber vermeiden.

So ist es bei Katastrophen fast immer: Die Verantwortlichen flüchten sich in Aktionismus und reinen Symbolhandlungen, schließlich wollen sie sich nicht vorwerfen lassen, untätig geblieben zu sein. Aber an der wirklichen Misere ändert sich kein Deut.

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[1] Luftfahrt-Bundesamt, Von deutschen Luftfahrtunternehmen gemeldete flugbetriebliche Störungen
[2] Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung, Ereignisse in der Zivilluftfahrt in Deutschland und mit in Deutschland zugelassenen Luftfahrzeugen im Ausland, Zeitraum: 2014, PDF-Datei mit 57 kb
[3] Süddeutsche vom 27.03.2015
[4] ARD-Deutschlandtrend April 2015, PDF-Datei mit 571 kb
[5] Die Welt vom 02.04.2015
[6] Airliners.de vom 22.12.2014
[7] Spiegel-Online vom 22.12.2014
[8] BDSW, Übersicht Tarifverträge, PDF-Datei mit 19 kb
[9] Bild.de vom 22.12.2014