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25. Mai 2015, von Michael Schöfer
Ach so, na dann...


Nehmen wir an, Sie kommen mit einem nagelneuen 7er BMW in eine Polizeikontrolle. Der Beamte klopft ans Seitenfenster und verlangt höflich die Fahrzeugpapiere. "Papiere? Hab' ich keine", antworten Sie ihm. "Einen Moment bitte", sagt der Polizist und geht zu seinem Streifenwagen. Nach fünf Minuten kehrt er zurück. "Der BMW ist als gestohlen gemeldet, bitte steigen Sie aus dem Wagen aus", fordert er schon eine Spur barscher. "Das kann gar nicht sein", antworten Sie ihm, "ich bin der rechtmäßige Besitzer des Wagens, beweisen kann ich das allerdings nicht. Aber Sie dürfen es mir ruhig glauben." Die Miene des Polizeibeamten hellt sich auf: "Ach so, na dann... Das ändert natürlich alles. Verzeihen Sie, dass wir Sie belästigt haben." Mit einem "weiterhin gute Fahrt" winkt er Sie aus der Kontrollstelle heraus und Sie brausen davon.

Das kann doch gar nicht sein, denken Sie jetzt bestimmt. Und Sie haben vollkommen recht. Zunächst würde die Polizei das Fahrzeug sicherstellen, Ihre Identität überprüfen und die Eigentumsverhältnisse klären. Möglicherweise, falls der BMW tatsächlich gestohlen ist und man Sie verdächtigt, Mitglied einer internationalen Autoschieberbande zu sein, wird die Polizei Ihre Wohnung und Ihre Garage durchsuchen. Hausdurchsuchungsbefehl durch einen Richter? In solchen Fällen kein Problem, schließlich liegt der Verdacht einer Straftat vor. Unter Umständen kommen Sie auch noch in Untersuchungshaft. Verdunklungsgefahr!

Bei den Geheimdiensten ist die Situation völlig anders. Es gibt zwar den dringenden Verdacht, der Bundesnachrichtendienst (BND) habe der amerikanischen National Security Agency (NSA) bei der Überwachung (manche sagen sogar: dem Ausspionieren) von europäischen Firmen und Behörden geholfen, die Aufklärung des Sachverhalts erfolgt aber nur mit angezogener Handbremse. Der BND behauptet lapidar, es sei alles nach Recht und Gesetz erfolgt. Überprüfen kann das momentan keiner. Die Republik soll es halt glauben. "Ach so, na dann... Das ändert natürlich alles. Verzeihen Sie, dass wir Sie belästigt haben."

Der Bundestag hat die Bundesregierung zu kontrollieren. Doch wenn, wie im vorliegenden Fall, der Verdacht besteht, eine Behörde der Regierung habe womöglich das Recht gebrochen, erweisen sich die Kontrollrechte des Parlaments als ziemlich stumpf. Denn die Regierung entscheidet selbst, ob und welche Belege sie herausgibt. "Fahrzeugpapiere? Hab' ich keine!" Die mutmaßlichen Täter werden bloß höflich um Mitwirkung bei der Aufklärung gebeten. Und allein sie entscheiden, wer wann was erfahren darf. Hausdurchsuchung? Beschlagnahme von Akten? Untersuchungshaft? Gibt es alles nicht. Oh, sorry, ich vergaß: Der Generalbundesanwalt prüft, ob im Fall der Hilfsdienste des BND für die NSA der Anfangsverdacht für eine Straftat vorliegt. Und er prüft, und er prüft, und er prüft... Gut Ding will Weile haben.

Wo sonst entscheiden die Verdächtigen darüber, welche Maßnahmen die Strafverfolgungsbehörden ergreifen, ob und wie Letztere nach Beweisen suchen dürfen? "Wir müssen die gesamte Tätigkeit des BND einer demokratischen Kontrolle unterwerfen", sagt Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD). "Es darf auch für Geheimdienste keine rechtsfreien Räume geben." [1] Damit gesteht er ja ein, dass die Tätigkeit des BND bislang nur ungenügend kontrolliert wurde. Und dass sich der Geheimdienst offenbar zumindest teilweise in einem rechtsfreien Raum bewegt. Etwas, woran übrigens auch die rot-grüne Bundesregierung (1998-2005) nichts geändert hat. BND-Chef Gerhard Schindler behauptet, der BND sei auf die technische Expertise der NSA angewiesen. Wie soll man das verstehen? Ein Teil der Autoschieberbande gibt entlastend zu Protokoll, er sei auf den anderen Teil der Autoschieberbande angewiesen? "Ach so, na dann... Das ändert natürlich alles. Verzeihen Sie, dass wir Sie belästigt haben." Unglaublich! Und das 66 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes.

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[1] Spiegel-Online vom 17.05.2015