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31. Mai 2015, von Michael Schöfer
Putins Liste


Ich bin wahrlich kein Freund von Wladimir Putin, dem russischen Präsidenten. Soeben hat er ein Gesetz erlassen, das ein schärferes Vorgehen gegen "unerwünschte" ausländische Organisationen ermöglicht. Wie üblich ein Gummiparagraph (was ist "unerwünscht" konkret?). Die Strafmaßnahmen sehen das Einfrieren von Guthaben, Einreiseverbote und bis zu sechs Jahren Haft vor. Ein anderes Dekret verbietet es ab sofort, über getötete Soldaten bei "Spezialeinsätzen" in Friedenszeiten zu berichten. Ebenfalls ein Gummiparagraph (was sind "Spezialeinsätze" konkret?). Bislang erstreckte sich das Verbot von Mitteilungen über Verluste nur auf Kriegszeiten. Die getöteten russischen Soldaten im ukrainischen Donbass werden somit zum Staatsgeheimnis erklärt. Bei Verstößen drohen bis zu sieben Jahre Haft. Seltsam, Putin verbietet Meldungen über etwas, das es nach offizieller Darstellung gar nicht gibt, weil Russland ja angeblich keine Soldaten in der Ukraine einsetzt. Eine recht eigentümlich Logik also.

Die russische Propaganda funktioniert trotzdem, danach kommt alles Böse aus dem Westen. Der Kreml hat jetzt eine Liste mit 89 Personen veröffentlicht, denen die Einreise nach Russland untersagt wird. Dem CDU-Politiker Karl-Georg Wellmann (MdB) wurde sie bereits verwehrt. Auf der Liste stehen u.a. Guy Verhofstadt (ehemaliger Ministerpräsident Belgiens, derzeit MdEP), die deutsche Staatssekretärin Katrin Suder, der ehemalige EU-Parlamentarier Daniel Cohn-Bendit, Michael Fuchs (stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion) und Rebecca Harms (Vorsitzende der Grünen Fraktion im Europäischen Parlament). Putins lupenreiner Freund Gerhard Schröder fehlt auf der Liste.

"Ich halte es nicht für besonders klug, solche Einreiseverbote überhaupt auszusprechen", meint Außenminister Frank-Walter Steinmeier. "Es ist nicht korrekt, wenn Russland Politiker aussperrt, die nur ihre Meinung sagen", protestiert der vom Einreiseverbot betroffene Michael Fuchs. Der niederländische Regierungschef Mark Rutte meint sogar, die Liste widerspreche dem Völkerrecht. [1] "Es ist inakzeptabel, dass dadurch das gegenseitige Vertrauen verringert und jegliche Anstrengungen behindert werden, einen konstruktiven Dialog für eine friedliche und anhaltende Lösung der gegenwärtigen geopolitischen Krise zu finden", empört sich EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. [2]

Alles recht und schön, doch auch die westliche Propaganda funktioniert. Und danach kommt alles Böse aus dem Osten. Im Rahmen der Krim-Krise und des Konflikts in der Ukraine haben nämlich westliche Staaten ausgewählten russischen Staatsangehörigen schon seit langem die Einreise verboten, außerdem wurde für die Betroffenen eine Vermögenssperre erlassen. Darunter fallen u.a. Wladimir Dschabarow (Erster Stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für internationale Angelegenheiten des russischen Föderationsrates), Sergei Mironow (Mitglied des Rates der Staatsduma, Fraktionsführer der Partei Gerechtes Russland), Sergei Naryschkin (Vorsitzender der Staatsduma, der ersten Kammer des russischen Parlaments), Walentina Matwijenko (Vorsitzende des Föderationsrates, der zweiten Kammer des russischen Parlaments) und Jelena Misulina (Abgeordnete in der Staatsduma). [3] Walentina Matwijenko hat laut Sanktionsliste "die Entsendung russischer Streitkräfte in die Ukraine öffentlich befürwortet". Auch Wladimir Dschabarow habe "die Entsendung russischer Streitkräfte in die Ukraine öffentlich befürwortet".

Wie war das nochmal? "Es ist nicht korrekt, wenn Russland Politiker aussperrt, die nur ihre Meinung sagen." (O-Ton Michael Fuchs) Aber wenn westliche Staaten russische Politiker, die nur ihre Meinung sagen, aussperren, ist das offenbar vollkommen in Ordnung. Mag sein, dass Moskau mit der Einreiseverbotsliste den Dialog behindert, aber wie bewertet man dann die Einreiseverbotsliste der EU? Baut man darauf, dass die Bürgerinnen und Bürger Letztere vergessen haben? Ich höre sie schon, die Stimmen: "Das ist natürlich etwas ganz anderes." Ach, wirklich? Gilt nicht gleiches Recht für alle? Falls doch, müssten eigentlich auf der russischen Liste Norbert Lammert (Bundestagspräsident) und Volker Bouffier (derzeit Bundesratspräsident) auftauchen. Von Martin Schulz (Präsident des EU-Parlaments) ganz zu schweigen. Tit for Tat (Wie du mir, so ich dir).

Um nicht missverstanden zu werden: Die Annexion der Krim war völkerrechtswidrig. Und Russland ist nach meiner Überzeugung aktiv am Krieg im Donbass beteiligt. Deshalb befürworte ich auch die Sanktionen. Aber man darf sich doch nicht der Naivität hingeben, Russland würde nicht mit ähnlichen Sanktionen kontern. Vor allem: das eigene Handeln muss stimmig sein. Wer selbst Einreiseverbote ausspricht und von deren Zulässigkeit überzeugt ist, sollte nicht so tun, als widersprächen die Einreiseverbote der Gegenseite dem Völkerrecht. Insofern ist die Reaktion des Westens heuchlerisch, wenn nicht sogar ein bisschen hysterisch. "Es ehrt mich, wenn mich ein totalitäres System wie Russland als Feind des Totalitarismus brandmarkt“, echauffiert sich beispielsweise Daniel Cohn-Bendit. Schade, dass man "Dany le Rouge" offenbar selbst nach einem langen Politikerleben immer noch den Unterschied zwischen Autoritarismus und Totalitarismus erklären muss. Im Grunde ein Armutszeugnis. Aber derlei maßlose Übertreibungen funktionieren nicht bloß in Russland.

Bei Konflikten ist es äußerst ratsam, den Beitrag aller Beteiligten zu sehen. Wer jedoch den eigenen konsequent ausblendet, während man um den des Kontrahenten jedes Mal ein großes Bohei macht, muss sich zu Recht Einseitigkeit und Voreingenommenheit vorwerfen lassen. Schwarz-Weiß-Denken ist gefährlich. Wie gesagt, ich bin kein Freund von Putin, ich halte ihn vielmehr für einen rabiaten Autokraten. Aber mit Schaum vor dem Mund löst man keine Konflikte, mit Besonnenheit schon eher.

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[1] Focus-Online vom 30.05.2015
[2] T-Online.de vom 30.05.2015
[3] Wikipedia, Liste von Sanktionen in der Krimkrise