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08. Juni 2015, von Michael Schöfer
Wasser in den Wein der Gipfel-Euphorie gießen


Wenn Gipfel-Beschlüsse tatsächlich etwas bewirken würden, befände sich die Welt längst in paradiesischen Zuständen. Bedauerlicherweise sind solche Willensbekundungen oft nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben stehen. Absichtserklärungen sind bekanntlich noch keine Taten, aber in der Realität kommt es ausschließlich auf Letztere an.

Greifen wir ein paar Punkte der Abschlusserklärung des G7-Gipfels auf Schloss Elmau heraus: "Ein intaktes internationales Finanzsystem ist entscheidend, um das Wachstum auf einen nachhaltigen Pfad zu bringen", heißt es dort. Und weiter: "Wir bekennen uns ebenso unverändert zur Stärkung der Regulierung und Aufsicht des Schattenbankensystems entsprechend den bestehenden systemischen Risiken. Die rechtzeitige und umfassende Umsetzung des vereinbarten G20-Fahrplans zur Regulierung des Schattenbankwesens ist unverzichtbar." [1]

Wie oft soll eigentlich noch die Regulierung der Schattenbanken (z.B. Hedgefonds) versprochen werden? Die Schattenbanken stärker zu kontrollieren wurde nämlich bereits beim Treffen der G7-Finanzminister in Essen im Februar 2007 angekündigt. Das gleiche Thema stand auch schon beim G20-Gipfel 2008 in Washington, beim G20-Gipfel 2009 in London, beim G20-Gipfel im Juni 2010 in Toronto, beim G20-Gipfel im November 2010 in Seoul, beim G20-Gipfel 2011 in Cannes und beim G20-Gipfel 2012 in Los Cabos/Mexiko auf der Tagesordnung. Ebenso beim G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm. Und jetzt eben erneut beim G7-Gipfel auf Schloss Elmau. Leider sind die Schattenbanken aber bis heute, feierliche Abschlusserklärungen hin oder her, weitgehend unreguliert geblieben. Und man darf darauf wetten, dass die Staats- und Regierungschefs das auch bei den geplanten Gipfel-Treffen 2016 in Japan, 2017 in Italien und 2018 in Kanada ein weiteres Mal bekräftigen werden. Die einzig relevante Frage ist jedoch, wann sich endlich etwas tut. Warten wir es ab.

Wie oft hat sich eigentlich die Weltgemeinschaft schon zur Einhaltung des 2-Grad-Zieles bei der anthropogenen Klimaerwärmung bekannt? Ich erspare mir hier eine langatmige Aufzählung. Die G7-Staaten wollen auf der Klimakonferenz Ende 2015 in Paris ein verbindliches Abkommen erzielen. Es seien "tiefe Einschnitte bei den weltweiten Treibhausgasemissionen erforderlich (...), einhergehend mit einer Dekarbonisierung der Weltwirtschaft im Laufe dieses Jahrhunderts". Sie unterstützen als gemeinsame Vision, die Treibhausgase "bis 2050 im Vergleich zu 2010 entsprechend dem oberen Ende der jüngsten IPCC-Empfehlungen von 40 bis 70 % zu reduzieren". Langfristiges Ziel ist "eine kohlenstoffarme Weltwirtschaft", die G7-Staaten streben dafür "bis 2050 einen Umbau der Energiewirtschaft" an. Zu diesem Zweck sollen auch Finanzmittel bereitgestellt werden.

Klingt gut und wäre bitter notwendig, aber der alles entscheidende Gradmesser sind nicht hehre Absichten, sondern allein das konkrete Handeln. Fracking und die Erschließung von bislang schwer erreichbaren Energieressourcen, wie etwa in Alaska (die US-Regierung hat Shell erst vor kurzem die Bohrerlaubnis erteilt), gehören definitiv nicht dazu. Deren Ausbeutung wäre unvereinbar mit den Klimazielen. "Wie die Forscher des University College London UCL Institute for Sustainable Resources errechneten, müssen (...) erhebliche Mengen an Öl, Gas und Kohle ungenutzt bleiben, um den Klimawandel aufzuhalten. Bis zum Jahr 2050 müssen demnach ein Drittel der Ölreserven, die Hälfte der Gasreserven und sogar 82 Prozent der derzeit noch vorhandenen Kohlereserven im Boden verbleiben, um das politisch vorgegebene Ziel, die Erderwärmung unterhalb von zwei Grad Celsius zu halten, überhaupt noch erreichen zu können." [2] Reden und Handeln klaffen hier weit auseinander. Doch dem Klima hilft kein Blabla, sondern einzig und allein die wirkliche Reduzierung der Treibhausgasemissionen.

Die G7 sind "bestrebt, eine ehrgeizige Post-2015-Agenda für nachhaltige Entwicklung zu erreichen. (…) Durch die Agenda sollten die verbliebenen Aufgaben im Bereich der Millenniums-Entwicklungsziele abgeschlossen, extreme Armut beseitigt, niemand zurückgelassen, Ungleichheiten verringert, der globale Wandel hin zu nachhaltigen Volkswirtschaften beschleunigt, die nachhaltige Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen gefördert sowie Frieden, gute Regierungsführung und Menschenrechte gestärkt werden." Man will 500 Millionen Menschen in den Entwicklungsländern bis 2030 von Hunger und Mangelernährung befreien. Auch die Absicht, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für öffentliche Entwicklungsleistungen zur Verfügung zu stellen, wird abermals bekräftigt.

Auf dem Millennium-Gipfel vom 6. bis 8. September 2000 in New York wurde u.a. beschlossen, im Vergleich zu 1990 die Zahl der Hungernden (damals 1,15 Mrd. Menschen) bis 2015 zu halbieren. Heute, im Zieljahr 2015, haben nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) noch immer 795 Mio. Menschen auf der Welt nicht genug zu essen. [3] Das Ziel wurde somit deutlich verfehlt. Gerne brüstet man sich damit, den prozentualen Anteil der Hungernden seit 1990 von 23,6 Prozent auf 14,3 Prozent im Jahr 2013 gesenkt zu haben. [4] Das klingt zwar schon ein bisschen positiver, ist aber lediglich ein übler Rechentrick, denn schließlich hat sich die Weltbevölkerung seit 1990 von 5,32 Mrd. auf 7,32 Mrd. vergrößert. Selbst wenn die Zahl der Hungernden gleich geblieben wäre, hätte man allein aufgrund des statistischen Effekts eine prozentuale Reduzierung erreicht. Und die Verpflichtung, 0,7 Prozent des BIP für die Entwicklungshilfe bereitzustellen, wurde schon 1970 beschlossen. Nach Angaben der OECD sind, mit Ausnahme von Großbritannien, alle G7-Teilnehmer noch weit von diesem Ziel entfernt. Angaben für 2013: Deutschland (0,38 %), Frankreich (0,41 %), Italien (0,16 %), Japan (0,23 %), Kanada (0,27 %), USA (0,19 %), Großbritannien (0,72 %). [5] Für Großbritannien war es 2013 übrigens das erste Mal, von den anderen Gipfel-Teilnehmern hat in den vergangenen zehn Jahren keiner das 0,7-Prozent-Ziel erreicht.

Ich muss demzufolge viel Wasser in den Wein der Gipfel-Euphorie schütten. Wie stets bei solchen Anlässen hört man zwar große Worte, aber bei den Taten muss man erfahrungsgemäß erhebliche Abstriche machen.

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[1] Bundesregierung, PDF-Datei mit 379 kb
[2] Wirtschaftswoche vom 08.01.2015
[3] WFP
[4] Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Beseitigung der extremen Armut und des Hungers
[5] OECD, ODA in 2013, PDF-Datei mit 483 kb