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18. Juni 2015, von Michael Schöfer
Man greift sich an den Kopf


Griechenland und kein Ende. Man hat das Gefühl, es wird bloß noch einer gesucht, dem man für die absehbare Pleite des Ägäis-Staates und die daraus resultierenden Verwerfungen auf dem Finanzsektor die Schuld in die Schuhe schieben kann. In Deutschland scheint die Meinung ohnehin schon längst festzustehen: Natürlich sind allein die Griechen schuld.

Ich bin jedoch der Ansicht, dass man hierzulande einfache ökonomische Wahrheiten gerne verdrängt. Man hätte nämlich zuallererst dafür sorgen müssen, dass die griechische Wirtschaft wieder wächst, um mit dem dadurch verdienten Geld die Schulden bedienen zu können. Motto: Ohne Moos nix los! Stattdessen ist, das Spardiktat der "schwäbischen Hausfrau" lässt grüßen, die griechische Wirtschaft massiv geschrumpft (das reale Bruttoinlandsprodukt ging zwischen 2008 und 2013 um 26,3 Prozent zurück). [1] Kaum verwunderlich bei explodierender Arbeitslosigkeit und ständigen Lohn- sowie Rentenkürzungen.

Wenn man die Situation Griechenlands auf Sie, liebe Leserinnen und Leser, übertragen würde, wäre das ungefähr so:

2007 verfügen Sie über ein Jahreseinkommen von 10.000 Euro und haben Schulden in Höhe von 11.000 Euro (Schuldenquote 110 %). Die Troika (EU, EZB, IWF) reduziert Ihr Einkommen sukzessive auf 8.000 Euro (Sparen hat absolute Priorität), verlangt aber gleichzeitig, dass Sie ungeachtet dessen Ihre Schulden brav abbezahlen (Schuldenrückzahlung hat ebenfalls Priorität). 2014 beträgt Ihre Schuldenquote deshalb horrende 175 Prozent, Sie haben also relativ zu Ihrem Einkommen mehr Schulden als je zuvor. Nun verlangt die Troika von Ihnen, dass Sie ihr Einkommen erneut auf dann 7.000 Euro reduzieren (Einkommenssteigerung hat leider keine Priorität), aber trotzdem Ihre Kredite bedienen. Wie soll das gehen, werden Sie vielleicht fragen. Genau das ist bei Griechenland der Knackpunkt. Wäre Ihr Einkommen nach dem Beginn der Krise peu à peu gewachsen, hätten Sie die Schulden womöglich zurückzahlen können. Aber man hat Sie ja gezwungen, weniger zu verdienen. Der Rat, sich eine besser bezahlte Arbeit zu suchen oder zumindest einen lukrativen Nebenjob, wäre wesentlich hilfreicher gewesen. Als Alternative ein Schuldenerlass.

Griechenland sei auf einem guten Weg gewesen, doch dieses zarte Pflänzchen habe die neue griechische Regierung unter Alexis Tsipras (SYRIZA) zertreten, liest man in den Zeitungen. Das griechische Bruttoinlandsprodukt sei schließlich 2014 unter Ministerpräsident Andonis Samaras (Nea Dimokratia) zum ersten Mal wieder gewachsen. (Kleiner Hinweis: Die Nea Dimokratia hat gemeinsam mit der PASOK den Griechen den ganzen Schlamassel erst eingebrockt.) Doch stimmt das wirklich? Das reale, also das durch die Preissteigerungsrate bereinigte Bruttoinlandsprodukt ist zwar 2014 nach den vorläufigen Daten von Eurostat in der Tat um 0,8 Prozent gestiegen, das nominale (= das unbereinigte) Bruttoinlandsprodukt ist freilich von 182,4 Mrd. Euro auf 179,1 Mrd. Euro gesunken. [2]

Wie kommt das? Das reale Bruttoinlandsprodukt steigt, aber das nominale sinkt? Ganz einfach: Griechenland steckt mittlerweile in einer Deflation, die Preise sind dort 2014 um 1,4 Prozent zurückgegangen. [3] Wenn Sie erlauben, liebe Leserinnen und Leser, übertrage ich das Ganze abermals auf Sie: Ihr Jahreseinkommen geht von 8.000 Euro auf 7.840 zurück (minus 2 %), weil Sie aber für einen Liter Milch nicht mehr einen Euro, sondern bloß noch 97 Cent bezahlen müssen (minus 3 %), behaupten alle, Ihr Einkommen sei real um ein Prozent gestiegen, es gehe Ihnen folglich besser als im Jahr zuvor. Das mag für Sie als Einzelperson noch zutreffen, aber nicht für eine ganze Volkswirtschaft, in der das weiterhin sinkende Bruttoinlandsprodukt alles um Sie herum allmählich niederreißt.

Das ist, grob gesagt, die Konsequenz der Sparpolitik à la Angela Merkel. Und Sie haben ganz recht, wenn Sie sich angesichts dessen an den Kopf greifen. Aber wenigstens steht fest: Schuld sind die Griechen.

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[1] Eurostat, Wachstumsrate des realen BIP
[2] Eurostat, Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen
[3] Eurostat, Harmonisierter Verbraucherpreisindex