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09. Juli 2015, von Michael Schöfer
Who's next?


Ach, immer diese geschichtlichen Vergleiche. Den französischen Finanzminister Emmanuel Macron erinnert die Austeritätspolitik gegenüber Griechenland an die harten Auflagen, die die Siegermächte nach dem Ersten Weltkrieg der jungen Weimarer Republik machten. Und was die bewirkten, ist hinlänglich bekannt. Es dürfe keinen "neuen Versailler Vertrag der Eurozone" geben, mahnt Macron. [1] Die Sprache und die Bilder, die uns die Medien servieren, sind in der Tat martialisch. Das Boulevard-Blatt "Bild" stellt Angela Merkel mit Pickelhaube dar. Die "Eiserne Kanzlerin", soll das bedeuten. Dass damit zugleich an den unseligen preußischen Militarismus erinnert wird, ist offenkundig gewollt. Der hässliche Deutsche feiert fröhliche Urständ. "Sie wollen eine bedingungslose Kapitulation", schreibt daher eine Athener Zeitung nicht zu Unrecht. [2] Und es ist ja wahrlich zum Haare ausraufen: Das Gebäude, das die Nachkriegsgeneration auf den Trümmern des Zweiten Weltkrieges errichtete, wird von Merkel, Schäuble & Co. mit der Abriss-Birne traktiert.

Es herrscht akute Einsturzgefahr, denn es geht nicht bloß allein um Griechenland, der Ägäis-Staat ist nur das erste Opfer. Das, was jetzt an Athen exekutiert wird, kann/wird auch andere treffen. Es soll doch keiner glauben, er wäre vor diesem skrupellosen Marktradikalismus sicher. Wenn es politisch opportun und ökonomisch verkraftbar erscheint, wird die "Eiserne Kanzlerin" bestimmt ohne mit der Wimper zu zucken auch Portugiesen, Iren, Spanier oder Italiener über die Klinge springen lassen. Na, wenigstens sind die Franzosen sicher. So so, echt? Selbst dafür würde ich nicht meine Hand ins Feuer legen. Deshalb sollte man sich andernorts fragen, ob es wirklich richtig ist, die Griechen so schnöde zu behandeln, wie es derzeit in Europa Usus ist. Der ganze Schlamassel könnte nämlich demnächst auf uns selbst zurückfallen. Und wenn ich mir an dieser Stelle einen geschichtlichen Vergleich erlauben darf, dann sind es die Worte von Martin Niemöller:

"Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte."


Will heißen: "Als die Troika Griechenland ins soziale Elend trieb, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Grieche..."

Who's next? Wer ist der nächste? Liebe Leserinnen und Leser, wann die Troika zu Ihnen kommt, ist vielleicht nur eine Frage der Zeit.

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[1] taz vom 08.07.2015
[2] flassbeck-economics vom 08.07.2015