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18. Juli 2015, von Michael Schöfer
Träume sind Schäume


Wenn uns das Universum eines lehrt, dann gewiss Demut (Erkenntnis der eigenen Unvollkommenheit). Aber nicht nur in Bezug auf die gewaltigen Zeiträume, sondern auch hinsichtlich seiner unvorstellbaren Größe. "Der Weltraum, unendliche Weiten...", so beginnt die amerikanische Fernsehserie "Raumschiff Enterprise" (Star Trek). In der Tat: Das beobachtbare Universum hat einen Durchmesser von etwa 93 Mrd. Lichtjahren. [1] Ein Lichtjahr, der Weg, den das Licht im Vakuum im Laufe eines Jahres zurücklegt, sind 9,46 Billionen Kilometer. 93 Mrd. Lichtjahre lassen sich hier in Kilometern gar nicht mehr angemessen darstellen [2]. Und trotzdem träumt der vor ein paar Millionen Jahren von den Bäumen gestiegene Primat namens Homo sapiens von der interstellaren Raumfahrt. Die Hybris des Menschen.

Sie dürfen von mir natürlich keine Prognose der Marke "Der Mensch wird sich nie in die Lüfte erheben" erwarten. Wer weiß schon, was in hundert oder zweihundert Jahren möglich sein wird? Niemand. Der technische Fortschritt ist ja ungeheuer rasant. Ein kleines Beispiel: Mitte der siebziger Jahre habe ich im Rahmen meiner Berufsausbildung noch Lochkarten kennengelernt, die hatten damals eine Speicherkapazität von 80 Byte. Nicht Kilo-, Mega- oder Gigabyte. Nein, Byte!" Eine heute übliche 320-GB-Festplatte kann den Inhalt von vier Milliarden Lochkarten speichern. Das würde einem Lochkartenstapel von 680 km Höhe entsprechen." [3] Wahnsinn! Und das innerhalb von ein paar Jahrzehnten.

Zurück zur interstellaren Raumfahrt: Der Homo sapiens wird sich zwangsläufig an die Naturgesetze halten müssen. Und nach allem, was man bislang weiß, ist die Lichtgeschwindigkeit (299.792,458 km/s) die absolute Obergrenze. Schneller geht nicht. Und falls unsere Technologie keine Quantensprünge macht, kommen wir nicht mal in die Nähe der Lichtgeschwindigkeit. Voyager 1, die Raumsonde, die sich bislang am weitesten von der Erde entfernt hat, fliegt derzeit relativ zu unserer Sonne mit einer Geschwindigkeit von 17.037 m/s (61.333,2 km/h). Proxima Centauri ist unser nächster kosmischer Nachbarstern und 4,24 Lichtjahre vom Sonnensystem entfernt, das sind immerhin 40,1 Billionen Kilometer. Voyager 1 würde bis dahin rund 75.000 Jahre brauchen. Nur um einen kleinen Anhaltspunkt zu bieten, wie riesig dieser Zeitraum ist: Vor 75.000 Jahren benutzte der Homo sapiens noch Faustkeile und Keilmesser. Die ältesten Höhlenmalereien der Menschheit sind "erst" vor 40.000 (El-Castillo-Höhle und Abri Castanet), 32.000 (Chauvet-Höhle) und 30.000 Jahren (Höhle von Pair-non-Pair) entstanden.

75.000 Jahre - so alt wird keine Kuh im Odenwald. Außerdem müsste man für die Reise (mit One-Way-Ticket?) alles zum Leben notwendige mitnehmen (Luft, Wasser, Nahrung, Energie, Rohstoffe, Ersatzteile etc.). Die gefährliche kosmische Strahlung ist ebenfalls ein ungelöstes Problem. Es wird zwar viel über alternative Raumfahrtantriebe spekuliert, doch Technologien, die die Reise zu den Sternen von Alpha Centauri drastisch verkürzen würden, sind auf absehbare Zeit nicht in Sicht. Ob wir sie jemals entwickeln, steht buchstäblich in den Sternen. Skepsis ist angebracht. Und dabei wissen wir noch nicht einmal, ob es dort einen Planeten gibt, der erdähnliche Bedingungen bietet (wohl eher nicht). Inzwischen wurden zahlreiche extrasolare Planeten entdeckt, die Liste der potentiell bewohnbaren Planeten ist jedoch vergleichsweise kurz. Die erdnächsten sind 13 Lichtjahre (Kapteyn b) bzw. 16 Lichtjahre (Gliese 832c) entfernt. Mit einem theoretisch denkbaren Fusionsantrieb benötigten wir für den Hin- und Rückflug immer noch mehr als 100 Jahre. Das ist mindestens die Zeitspanne vom Ersten Weltkrieg bis heute. Mein Urteil: Die interstellare Raumfahrt kann man getrost vergessen.

Die bemannte Raumfahrt innerhalb des Sonnensystems ist schon schwierig genug, die anvisierte Mission zum Mars wird nicht nur sündhaft teuer, sie ist technisch gesehen auch ziemlich heikel. Das Apollo-Programm kostete 23,9 Mrd. Dollar (heute ungefähr 120 Mrd. $), bei insgesamt sechs Mondlandungen betraten 12 Menschen unseren lediglich 385.000 km entfernten Begleiter. Und was, außer Prestige, hat es gebracht? Hätte der Mond wirklich eine so enorme wissenschaftliche Bedeutung, wäre Apollo 17 im Jahr 1972 sicherlich nicht die letzte Mission geblieben. Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich behaupte nicht, dass es keine wissenschaftliche Ausbeute gab, aber die Kosten/Nutzen-Kalkulation fiel offenkundig gegen weitere Mondflüge aus. Unter Umständen wird die Menschheit zum Mond zurückkehren, um etwa auf der Rückseite des Mondes ein Weltraumteleskop zu errichten. Wissenschaftlich wäre das zweifellos hochinteressant, aber bislang gab es viele Ankündigungen, jedoch kaum konkrete Taten. Wird die ungleich riskantere Mars-Mission einen entsprechenden Nutzen bringen? Das ist äußerst fraglich. Ich fürchte, hier steht erneut nur das Prestige bestimmter Nationen im Vordergrund.

Ein bisschen mehr Demut würde dem Menschen gut zu Gesicht stehen. Bemannter Marsflug? Nice to have, wenn man das dafür notwendige Kleingeld übrig hat, in meinen Augen ist er aber durchaus verzichtbar. Es gibt bessere Alternativen: Die Raumsonde "New Horizons" ist am 14. Juli 2015 an Pluto vorbeigeflogen und hat dabei atemberaubende Bilder geschossen. Die Kosten der Mission (Entwicklung, Bau, Trägerrakete, Durchführung) werden am Ende ganze 700 Mio. US-Dollar betragen. Die Raumsonde "Rosetta", die den Komet Tschurjumow-Gerassimenko besuchte und dort eine Landeeinheit absetzte, kostet etwa eine Milliarde Euro. Der unbemannte Rover Curiosity, der momentan viele wissenschaftliche Erkenntnisse vom Mars liefert, kostete bis zum Start 2,5 Mrd. Dollar. Für den bemannten Marsflug werden deutlich mehr Milliarden notwendig sein, die Schätzungen reichen - je nach Konzept - von 50 Mrd. bis 500 Mrd. Dollar. Unbemannte Missionen sind meiner Meinung nach viel besser. Sie sind bedeutend billiger, weil man sich die lebenserhaltenden Systeme sparen kann. Und man kann mit ihnen schon heute in Regionen vordringen, die für Menschen noch auf Jahrzehnte hinaus unerreichbar bleiben. Die Fortschritte der Robotik und der Künstlichen Intelligenz sind spektakulär, sie machen Menschen in den Tiefen des Alls zunehmend überflüssig.

Wäre der Homo sapiens schlauer, würde er wenigstens versuchen, seinen Heimatplaneten zu retten. Auf den Mars zu fliegen oder gar von interstellarer Raumfahrt zu träumen, während hier alles vor die Hunde geht, scheint keine besonders kluge Strategie zu sein. Das ist mitnichten ein Plädoyer für die Streichung sämtlicher Raumfahrtmissionen, doch es müssen ja nicht unbedingt bemannte sein. Wissenschaft ist extrem wichtig, doch alles mit Maß und Ziel, die Prioritäten der Menschheit liegen m.E. nicht im All. Wir sollten Forschung nicht mit Hollywood verwechseln, Star Trek wird vermutlich immer eine schöne Illusion bleiben, die Realität ist wesentlich nüchterner.

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[1] Florian Freistetter auf ScienceBlogs.de, Wie groß ist das Universum? vom 14.07.2014
[2] mathematisch: 8,798×1023 km
[3] Datenträger-Museeum.de, Lochkarte