Home | Archiv | Leserbriefe | Impressum



04. August 2015, von Michael Schöfer
Das Patentrezept


In Deutschland fühlen sich die Behörden mit dem wachsenden Zustrom von Flüchtlingen total überfordert. Mitten hinein in die Diskussion, wie man damit fertigwerden soll (Einwanderungsgesetz ja oder nein?), platzt nun eine Bombe, die man geradezu als Patentrezept bezeichnen könnte. "In Schreiben an den Balkan-Beauftragten des Europäischen Parlaments, David McAllister (CDU), werben die Ministerpräsidenten des Kosovo und Montenegros dafür, in Deutschland als 'sichere Herkunftsstaaten' anerkannt zu werden. (…) Im Kosovo gebe es weder politische Verfolgung noch Folter. Ähnliches formuliert der Ministerpräsident von Montenegro." [1]

Blenden wir einmal aus, dass die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in Bezug auf den Kosovo ernstzunehmende Morddrohungen und Angriffe auf investigative Journalisten meldet. Auch Frauenrechtlerinnen seien dort Drohungen ausgesetzt, die keine strafrechtlichen Konsequenzen nach sich zögen. [2] In Montenegro wiederum würden Minderheiten nach wie vor diskriminiert, bedroht und tätlich angegriffen. Die Polizei nehme Menschen fest oder bestelle sie zu "Informationsgesprächen" ein, denen dabei eine "erhebliche Gefahr" drohe, misshandelt zu werden. [3] Von der offenkundigen Diskriminierung der Roma in beiden Ländern ganz zu schweigen.

Ja, blenden wir das einmal völlig aus, dann merken wir, welch großes Potential im Vorschlag der Ministerpräsidenten des Kosovo und Montenegros schlummert. Wenn sich das herumspricht, steht nämlich die Lösung für die laut UNHCR weltweit 59,5 Millionen Flüchtlinge unmittelbar vor der Tür. Demnächst wird auch der saudi-arabische König Salman ibn Abd al-Aziz darum bitten, sein Land als sicheres Herkunftsland zu erklären: "Ihr in Deutschland klagt Blogger wegen Landesverrat an, und denen droht deshalb sogar lebenslange Haft. Wir verurteilen sie dagegen bloß zu zehn Jahren Gefängnis und 1.000 Peitschenhieben - verabreicht in homöopathischen Dosen von lediglich 50 Hieben pro Woche. Es gibt daher überhaupt keinen Grund, Saudi-Arabien schlechter zu bewerten als Euren Generalbundesanwalt Harald Range oder Verfassungschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen."

Die Bundesregierung sieht bereits eine wahre Briefflut auf sich zukommen. Ägyptens Präsident Abd al-Fattah as-Sisi hat schon angekündigt, das Land am Nil ebenfalls als sicheren Herkunftsstaat vorzuschlagen - trotz zahlreicher Todesurteile, willkürlichen Verhaftungen und systematischer Folter. "Ihr Deutschen macht in Hurghada am Roten Meer Badeurlaub oder besucht unsere historischen Stätten. Ein Land, das - abgesehen von ein paar Anschlägen durch islamistische Terroristen - für westliche Urlauber sicher ist, wird doch wohl für seine Einwohner nicht unsicher sein." Eine bestechende Logik. Die Präsidenten von China und Russland, Xi Jinping und Wladimir Putin, tragen bestimmt folgendes Argument vor: "Länder, in denen Olympische Spiele oder Fußballweltmeisterschaften stattfinden, können keiner Fliege etwas zuleide tun, denn das widerspräche dem olympischen Geist bzw. dem Fair-Play-Gedanken. Fragen Sie bitte Thomas Bach vom IOC oder Sepp Blatter von der FIFA, die werden Ihnen das gewiss bestätigen." CSU-Chef Horst Seehofer soll im ARD-Sommerinterview heftig genickt haben.

Wenn dann am Ende nahezu alle Staaten als sichere Herkunftsländer gelten (mit Ausnahme sogenannter Schurkenstaaten wie Nordkorea oder lästigen Steueroasen wie Luxemburg), ist das Flüchtlingsproblem so gut wie gelöst. Wie gesagt, geradezu ein Patentrezept. Allerdings nur so gut wie, denn falls der Islamische Staat in Kürze Baschar al-Assad aus Damaskus vertreiben sollte, müssen wir dem syrischen Präsidenten natürlich Asyl gewähren. Schon allein aus humanitären Gründen. Schließlich sind wir nicht unmenschlich, sondern halten stets unsere Werte hoch. Vor allem, wenn es um die Aufnahme von hilfsbedürftigen Flüchtlingen geht.

----------

[1] Deutsche Welle vom 04.08.2015
[2] Amnesty International, Amnesty Report 2015, Serbien (einschließlich Kosovo)
[3] Amnesty International, Amnesty Report 2015, Montenegro