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19. August 2015, von Michael Schöfer
Lediglich Blendgranaten


Wolfgang Schäuble, seit 1972 im Deutschen Bundestag und damit dienstältester Abgeordneter, ist ein mit allen Wassern gewaschener politischer Fuchs. Er weiß meisterhaft auf der Klaviatur der Medien zu spielen, das belegte zuletzt die Krise um das dritte Hilfspaket für Griechenland. Hat der Bundesfinanzminister der Athener Regierung das Messer auf die Brust gesetzt und sie dadurch erpresst, die ungeliebten Sparmaßnahmen schließlich doch zu akzeptieren? So erschien es jedenfalls den meisten Beobachtern. Ob der Grexit (das Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone) komme oder nicht, sei allein die Entscheidung Griechenlands, beteuert er nun treuherzig. "Im Juli hieß es ja nicht, wir werfen Griechenland raus. Das ist eine Verzerrung und war völlig falsch. Die Wahrheit war: Wir haben gesagt, wenn Griechenland die Anpassungslasten nicht tragen will oder tragen kann, dann wäre ein freiwilliger Austritt auf Zeit eine bessere Lösung." [1] Alles ganz harmlos also?

Schäuble, der bei anderen stets auf die strikte Einhaltung von Regeln pocht, weiß ganz genau, dass es den von ihm ins Spiel gebrachten "Grexit auf Zeit" gar nicht gibt. Immerhin ist der Mann Jurist. Man kann ein Land weder aus der Eurozone werfen noch kann ein Land aus der Eurozone austreten, so etwas sieht der EU-Vertrag nämlich gar nicht vor. Gemäß Artikel 140 Abs. 3 des Vertrags von Lissabon ist der Beitritt zur Währungsunion "unwiderruflich". Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWU) ist laut Deutscher Bundesbank eine "nicht mehr kündbare Solidargemeinschaft", die als "als unwiderrufliche Rechtsgemeinschaft auf Dauer angelegt" ist. [2] EZB-Vizepräsident Vitor Constancio: "Der EU-Vertrag sieht nicht vor, dass ein Land formal, rechtlich aus dem Euro ausgeschlossen werden kann." [3] Nach vorherrschender Meinung ist der Austritt aus der Eurozone nur indirekt möglich, wenn man zuvor die Europäische Gemeinschaft verlässt. Artikel 50 Abs. 1 des EU-Vertrags: "Jeder Mitgliedstaat kann im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen, aus der Union auszutreten." Mit dem Austritt aus der EU wäre zugleich das automatische Ausscheiden aus der Eurozone verbunden. Griechenland müsste folglich nach ein paar Jahren nicht bloß die Rückkehr zur Eurozone beantragen, sondern vielmehr die Mitgliedschaft in der EU. Anders ausgedrückt: Schäuble wäre Griechenland wohl endgültig los.

Der Vertrag von Lissabon dürfte dem Bundesfinanzminister bekannt sein. Für die griechische Regierung war die Alternative zur Akzeptierung des Sparprogramms die Staatspleite, der Zusammenbruch der einheimischen Banken und die zwingend notwendige Einführung einer Parallelwährung. Etwas, das in den Augen von Alexis Tsipras offenbar die schlechtere Option gewesen ist. Schäuble stellte Griechenland quasi vor die Wahl: "Wenn Du nicht die Pest willst, dann wähle die Cholera!" Das kann man durchaus Erpressung nennen, denn eine dritte Alternative, die Griechenland vielleicht geholfen hätte, irgendwann einmal aus dem angerichteten Schlamassel herauszukommen (Investitionsprogramm, Schuldenschnitt), stand überhaupt nicht zur Debatte. Das hat Schäuble erfolgreich abgeblockt. Wer etwas als Verhandlungsmasse einbringt (Grexit auf Zeit), das er laut EU-Vertrag gar nicht auf den Tisch legen kann, handelt unseriös und spielt gegenüber der Öffentlichkeit mit gezinkten Karten. Die darf sich denn auch getäuscht fühlen.

Vor diesem Hintergrund und der Diskussion über Abweichler in der Unionsfraktion (63 Abgeordnete von CDU und CSU stimmten beim dritten Hilfspaket mit Nein, drei enthielten sich) kann man es nur als billiges Ablenkungsmanöver bezeichnen, wenn der schlaue Fuchs Schäuble jetzt bereitwillig auf die 1999 aufgedeckte CDU-Spendenaffäre zurückkommt. Der Bruder von Wolfgang Schäuble, der frühere baden-württembergische Innenminister Thomas Schäuble, sagte damals: "Ich verabscheue Herrn Kohl, und da kann ich für die ganze Familie sprechen." [4] Anscheinend hat sich an dieser Einschätzung der Familie bis heute nicht viel geändert. Wolfgang Schäuble äußerte Zweifel an den Angaben Kohls, dieser habe das Geld von Spendern erhalten. Er glaube nicht an die geheimen Spender, deren Namen Kohl nicht verraten wollte, weil er sein Ehrenwort gegeben habe. "Es gab keine", sagt Schäuble, "es gab aus der Zeit von Flick schwarze Kassen." [5] Kurzum, er bezichtigt Kohl der Lüge.

Erscheint nun die CDU-Spendenaffäre in neuem Licht? Muss der Kohl-Spendenskandal neu geschrieben werden? So ähnlich lauten die Schlagzeilen der Gazetten. Doch das ist Kokolores, denn was Schäuble gesagt hat, ist alter Käse. Dass die CDU schwarze Kassen besaß, war längst bekannt. Das hat der ehemalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler bereits im November 1999 zugegeben. Ob das Geld aus der Flick-Affäre stammte oder tatsächlich, wie Kohl standhaft behauptet, von anonymen Spendern kam, ist im Grunde vollkommen irrelevant. Schwarze Kassen sind schwarze Kassen. Punkt. Vermutlich weiß die Wahrheit nur Helmut Kohl selbst. Und der wird sie vermutlich nie offenbaren. Nebenbei bemerkt: In diesem Zusammenhang ist auch noch der Verbleib von 100.000 DM offen, die Wolfgang Schäuble 1994 als Bar-Spende des Waffenhändlers Karlheinz Schreiber erhalten haben will. Das Geld tauchte ebenfalls in keinem Rechenschaftsbericht der CDU auf. Am 16. Februar 2000 musste Schäuble deshalb seinen Rücktritt als Partei- und Fraktionsvorsitzender erklären, Angela Merkel wurde daraufhin Parteivorsitzende. Der Rest ist hinlänglich bekannt.

Wolfgang Schäuble weiß sich zu inszenieren, ist mit den Spielregeln der Medienlandschaft bestens vertraut. Nur ab und zu ("Herr Offer, reden Sie nicht...") lässt er die Öffentlichkeit ungewollt hinter seine joviale Fassade blicken. Grexit auf Zeit? Schwarze Kassen aus der Zeit von Flick? Lediglich Blendgranaten.

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[1] ZDF vom 17.08.2015
[2] DekaBank, Volkswirtschaft Spezial, Austritte aus der EWU: Was passiert, wenn…, Nr. 7/2010 vom 13. Juli 2010, Seite 4, PDF-Datei mit 176 kb
[3] FAZ.Net vom 27.06.2015
[4] Spiegel-Online vom 17.02.2000
[5] SWR vom 19.08.2015