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01. September 2015, von Michael Schöfer
Als Neinsager hat man es schwer


Es ist immer wieder erstaunlich festzustellen, dass sich Menschen fürchterlich darüber aufregen können, wenn jemand eine andere Meinung hat und sich obendrein erdreistet, diese auch noch zu äußern. Wohlgemerkt: Ich rede hier nicht von autoritären Regimen, sondern von demokratischen Organisation. Autoritäres Gehabe ist weder rechts noch links, es ist menschlich. Nicht im humanitären Sinne, sondern als Charakteristikum. In Organisationen, gleich welcher Couleur, herrscht in der Regel ein großer Konformitätsdruck. Kritik am Vorsitzenden oder der Richtung wird geradezu als Majestätsbeleidigung respektive Verrat an der Organisation gewertet. Nach außen hält man die demokratische, d.h. pluralistische Fassade aufrecht, spricht von einem freien und fairen Meinungskampf, während im Innern Duckmäusertum gefordert und gefördert wird. Die informellen Wege - Gerüchte, Intrigen, Verleumdungen - sind dabei oft am nützlichsten. Wehe dem, der sich erlaubt, unbeugsam auf der eigenen Meinung zu beharren. Die Herrschaftsmethoden sind daher in nahezu allen Organisationen gleich. So sind eben die Menschen.

Parteien sind das Paradebeispiel. Es ist in bestimmten Kreisen schon fast eine Schmach, wenn man kein Parteiausschlussverfahren angedroht bekommen hat. Was, kein einziges Parteiausschlussverfahren? Du elender Leisetreter! Wer als Dissident geadelt werden will, benötigt dafür mindestens ein Ausschlussverfahren. Gelegentlich kann man von diesem Ruhm bis zu seinem Lebensende zehren. Und bisweilen kommt es hierbei zu kuriosen Kehrtwendungen. Klaus Uwe Benneter beispielsweise, Spitzname: "Benni der Bürgerschreck", wurde 1977 auf Betreiben des damaligen Bundesgeschäftsführers Egon Bahr aus der SPD ausgeschlossen. Benneter war immerhin Vorsitzender der Jungsozialisten, der Jugendorganisation der Partei. Als Juso-Vorsitzender rückte ihm übrigens ein gewisser Gerhard Schröder nach. 1983 durfte Benneter aber wieder eintreten, 2004 hat man ihn sogar zum SPD-Generalsekretär gewählt. Ob er es ohne Parteiausschlussverfahren je so weit gebracht hätte? Dadurch wird man oft viel bekannter, als man es vorher überhaupt gewesen ist.

Natürlich sind Ausschlussverfahren kein Mittel, um bekannt zu werden (das ist bloß ein Nebeneffekt), sondern vielmehr ein Herrschaftsinstrument, das disziplinierend wirken soll. Gerade hauptamtliche Politiker oder Gewerkschafter sind ja auch existenziell von ihrer Organisation abhängig. Schon allein die Furcht, nicht wieder aufgestellt zu werden, übt auf alle internen Kritiker eine besänftigende Wirkung aus. Von der emotionalen Bindung ganz zu schweigen, manche verlieren mit dem Ausschluss zugleich ihr gesamtes persönliches Umfeld. Häufig bleibt deshalb die geballte Faust in der Tasche, werden politische Bauchschmerzen nur hinter vorgehaltener Hand geäußert. Allerdings funktioniert das nicht immer, dann kann es durchaus ruppig zugehen. Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach stimmte 2011 fast als einziger in der Regierungskoalition gegen den Euro-Rettungsschirm und klagte über massiven Druck und Beschimpfungen in seiner Partei. "Ich kann Deine Fresse nicht mehr sehen. Ich kann Deine Scheiße nicht mehr hören", soll ihm der damalige Kanzleramtschef Ronald Pofalla an den Kopf geworfen haben. [1] 2015 stimmten übrigens schon 63 Unionsabgeordnete gegen die Marschrichtung ihrer Partei in Sachen Euro, Unionsfraktionschef Volker Kauder kündigte den Abweichlern prompt Konsequenzen an. MdB Klaus-Peter Willsch: "Als Neinsager hat man es in keiner Partei leicht." [2]

Nun hat der Vorsitzende der Gewerkschaft der Lokführer (GDL), Claus Weselsky, seinen Vorgänger Manfred Schell aus der Gewerkschaft ausgeschlossen. Und mit ihm noch ein paar andere Mitglieder, darunter drei ehemalige stellvertretende Bundesvorsitzende. Begründung: Angebliche Beitragsrückstände und gewerkschaftsschädigendes Verhalten. Weil die Ausgeschlossenen gleichzeitig zu den stärksten Widersachern des GDL-Chefs gehören, riecht das Ganze buchstäblich danach, als wolle sich Weselsky mit dieser rüden Maßnahme bloß seiner Kritiker entledigen.

Was an den Vorwürfen wirklich dran ist, werden vermutlich die Gerichte entscheiden, die Ausgeschlossenen wollen sich nämlich gegen den Rauswurf wehren. Wenigstens eines steht bereits jetzt fest: Claus Weselsky, ein erfolgreicher, aber in der Öffentlichkeit ziemlich unbeliebter Gewerkschafts-Chef, wird dadurch sein Negativimage wohl kaum verbessern. Hinzu kommt der Streisand-Effekt: "Als Streisand-Effekt wird ein Phänomen bezeichnet, wonach der Versuch, eine unliebsame Information zu unterdrücken oder entfernen zu lassen, öffentliche Aufmerksamkeit nach sich zieht und dadurch das Gegenteil erreicht wird, nämlich dass die Information einem noch größeren Personenkreis bekannt wird." [3] Weselsky bietet seinen Kritikern also nicht nur einen willkommenen Anlass, ihre abweichende Meinung abermals öffentlich zu äußern, er lenkt darüber hinaus den Blick auch auf den Konformitätsdruck, den er innerhalb seiner Organisation auszuüben scheint. Darauf, ob das tatsächlich stimmt, kommt es gar nicht mehr an. Wer derart rabiat reagiert, gerät schnell in den Verdacht, keine Kritik vertragen zu können. In einer zunehmend liberaleren Gesellschaft, in der Toleranz im Gegensatz zu früher einen hohen Stellenwert genießt, sind solche Methoden eigentlich verpönt. Und das vollkommen zu Recht.

Claus Weselsky ist schlecht beraten, wenn er diesen Weg einschlägt. Man kann Kritik genauso gut den Wind aus den Segeln nehmen, indem man sich inhaltlich mit ihr auseinandersetzt. Für die Öffentlichkeit ist bekanntlich nichts langweiliger als der weitschweifige Austausch von Argumenten, dann verliert sie nämlich schnell das Interesse. Voraussetzung ist natürlich, dass man überhaupt Argumente hat. Es ist ja meistens gerade das Merkmal derjenigen, die sich auf die geschilderten Herrschaftsinstrumente stützen, gar keine Argumente zu besitzen. Das Ganze wird lediglich als Machtfrage interpretiert und am Ende auch so gelöst. Bequem, wenn man über entsprechende Mehrheiten verfügt, doch mitunter absolut kontraproduktiv, was die Wirkung in der Öffentlichkeit angeht. Nun denn, Weselsky hat den Rubikon überschritten. Man darf gespannt sein, was sich daraus entwickelt.

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[1] Focus-Online vom 01.10.2011
[2] Spiegel-Online vom 12.08.2015
[3] Wikipedia, Streisand-Effekt