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Archiv | Leserbriefe
| Impressum 07. September 2015, von Michael Schöfer Heidenau ist nicht repräsentativ für Deutschland Ich bin nicht stolz darauf, ein Deutscher zu sein. Wenn denjenigen, die diesen Satz aussprechen, das idealisierte Bild eines Deutschen (blond, blauäugig) vor dem geistigen Auge herumschwebt, ist er ohnehin rassistisch gemeint. (Politischer Witz aus der Nazi-Zeit: "Wie sieht ein echter Arier aus? Blond wie Hitler, groß wie Goebbels und schlank wie Göring!") Ethnische Kategorien beruhen auf Vorurteilen, weil sie nichts über das Individuum und dessen Charakter aussagen. Das ist bloß Schubladendenken. Außerdem ist auch der ein vollwertiger Deutscher, der diesem Idealbild nicht entspricht, weil er - wie man das heute so schön sagt - einen "Migrationshintergrund" hat. Wir sind sowieso ein Mischmasch derjenigen, die hier seit Jahrtausenden durchzogen oder heimisch wurden. Es gibt folglich keine "echten" und "falschen" Deutschen respektive Deutsche erster und zweiter Klasse. Wenn der Satz aber lediglich den Besitz der Staatsangehörigkeit meint, ist das meiner Meinung nach nichts, worauf man stolz sein kann. Trotzdem bin ich seit ein paar Tagen ein bisschen stolz auf unser Land. Ich hoffe, alle bemerken diesen feinsinnigen Unterschied. Selbstverständlich gilt das nicht für den fremdenfeindlichen Pöbel und die Verbrecher, die Flüchtlingsunterkünfte in Brand setzen. Nein, ich meine damit die Menschen, die am vergangenen Wochenende den Flüchtlingen an den Bahnhöfen Schilder mit "Refugees welcome" (Flüchtlinge willkommen) entgegenhielten und sie mit Sachspenden und Lunchpaketen versorgten. Natürlich war das ein bisschen naiv, denn für einen kleinen Moment wurden die Probleme, die die Zuwanderung schafft und noch schaffen wird, vollkommen ausgeblendet. Ich kann mich sehr gut an die herzergreifenden Begrüßungsszenen nach dem Fall der Mauer erinnern - kurz danach spaltete sich das Land ernüchtert in "Ossis" und "Wessis". Im Grunde genauso blödsinnig, denn auch hier triumphierten Kategorien, sprich dumme Vorurteile. Gleichwohl war dieser möglicherweise naive Moment ein Ausdruck von tiefer Menschlichkeit. Die vom Leid Geplagten mit offenen Armen empfangen - gibt es einen deutlicheren Beweis, dass sich dieses Land zum Positiven gewandelt hat? Die Botschaft: Der Mob von Heidenau ist nicht repräsentativ für Deutschland, es sind vielmehr die zahlreichen namenlosen Helfer, die unserem Land ein menschliches Gesicht geben. Humanitas als Zeichen für gelebten Verfassungspatriotismus. Darauf kann man, ungeachtet der Fehler und Widersprüche, die dieses Land weiterhin prägen werden, zu Recht stolz sein. |