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24. September 2015, von Michael Schöfer
Eine bittere Lehrstunde in Ökonomie


Die Verquickung von Politik und Wirtschaft hat in Deutschland leider Tradition. Drei Beispiele: Die Rüstungsindustrie, die Energiewirtschaft und die Automobilindustrie. Charakteristisch für die genannten Branchen ist der Wechsel von Spitzenpolitikern zu Unternehmen oder Verbänden. Der frühere Bundesentwicklungshilfeminister Dirk Niebel arbeitet heute als Berater des Vorstands für den Rüstungskonzern Rheinmetall, Altbundeskanzler Gerhard Schröder ist Aufsichtsratsvorsitzender des Gaspipeline-Betreibers Nord Stream und Ex-Verkehrsminister Matthias Wissmann fungiert als Präsident des Verbandes der Automobilindustrie. Drei Beispiele von vielen. [1] In solchen Fällen fragt man sich jedoch, was - außer den guten Kontakten - Politiker überhaupt qualifiziert, derart herausgehobene Positionen in der Wirtschaft einzunehmen. Niebel ist gelernter Diplom-Verwaltungswirt und war vor seiner politischen Karriere Arbeitsvermittler beim Arbeitsamt, Schröder ist ebenso wie Wissmann Jurist.

Die negativen Auswirkungen für den Standort Deutschland sind offenkundig: Die Rüstungsindustrie, obgleich international sehr erfolgreich, lieferte jüngst wiederholt unzulängliches Material an die Bundeswehr. Die hiesigen Energieversorger haben die Energiewende verschlafen und hinken der Entwicklung hinterher. Die Autoindustrie hat, angefangen beim Katalysator, erfolgreich Umweltauflagen verzögert und baut noch immer besonders gern Spritschlucker. Der Abgas-Skandal bei den Diesel-Motoren ist da nur der vorläufige Höhepunkt. All das wäre ohne die langjährige Rückendeckung durch die Politik gar nicht möglich gewesen. Die Energieversorger setzten viel zu lange auf die finanziell äußerst lukrative Atomkraft, obwohl die regenerativen Energien bereits auf dem Vormarsch waren. Dann kam mit Fukushima die abrupte Wende, an der sie heute noch zu knabbern haben. Mittlerweile kämpfen sie ums Überleben. Für den VW-Konzern stellt der Abgas-Betrug ebenfalls einen Super-Gau dar. Die Politik ignorierte alle Hinweise auf stark abweichende Emissionen zwischen Abgastests und Realbetrieb, die wichtigste Exportbranche Deutschlands sollte wohl geschont werden. Das rächt sich nun.

VW hat nicht nur die Kunden betrogen, sondern auch die Allgemeinheit, dennoch wird die Firma nach wie vor mit Samthandschuhen angefasst. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU): "Wir werden (...) weiterhin intensiv daran arbeiten, gemeinsam mit Volkswagen genau herauszufinden, um welche Fahrzeuge es sich im Detail handelt, um auch die Öffentlichkeit weiter darüber zu informieren." [2] Der Konzern arbeite daran, eine Liste der betroffenen Autos zu erstellen. Wann sie veröffentlicht wird, ist allerdings offen. Dobrindt setzte eine Untersuchungskommission ein, die in Wolfsburg "Gespräche" führe. [3] Gespräche? Bei jedem anderen gäbe es eine Hausdurchsuchung, bei der man Unterlagen beschlagnahmen und Beweise sichern würde. Davon ist bislang in Bezug auf VW nichts bekannt geworden. Es kann doch nicht sein, dass man es dem VW-Konzern überlässt, das Ausmaß des eigenen Fehlverhaltens zu ermitteln. Wäre das bei Straftaten üblich, käme es bei Gericht kaum zu Schuldsprüchen. Die Verquickung zwischen Politik und Wirtschaft ist fatal. Wäre man nämlich frühzeitig den Hinweisen über auffällige Abweichungen bei den Kfz-Emissionen nachgegangen und hätte obendrein konsequent gehandelt, gäbe es jetzt keinen Abgas-Skandal.

Die Auswirkungen auf die Branche sind noch nicht absehbar. Gerüchte besagen, VW sei nicht der einzige Autobauer, der die Abgaswerte manipuliert habe. Gut möglich, dass die gesamte Exportwirtschaft (das Label "Made in Germany") darunter zu leiden hat, denn wer bei Automotoren betrügt, tut dies vielleicht auch in anderen Bereichen. Wir sehen ja, wie misstrauisch die Kunden gegenüber Software-Schmieden geworden sind, nachdem Edward Snowden das Ausmaß der staatlichen Überwachung aufgedeckt hat. Seitdem vermuten die Anwender permanent Hintertüren in Programmen und Betriebssystemen. Ob zu Recht oder zu Unrecht ist vollkommen irrelevant, denn der Vertrauensverlust ist ungeachtet dessen immens. Hätte die Politik nach dem Motto "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" gehandelt, müssten die Beschäftigten bei VW nun nicht um ihren Arbeitsplatz zittern. Doch dafür hat offenbar die notwendige kritische Distanz gefehlt, der Skandal ist deshalb eine bittere Lehrstunde in Ökonomie.

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[1] siehe u.a. Eine Hand wäscht die andere vom 18.02.2006
[2] FAZ.Net vom 24.09.2015
[3] Focus-Online vom 24.09.2015