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Archiv | Leserbriefe
| Impressum 31. Oktober 2015, von Michael Schöfer Studien für jede Lebenslage und alle Interessen Verkehrslärm schädigt die Gesundheit weniger als angenommen, behauptet eine neue Studie. Die Betonung liegt auf "weniger als angenommen". Ein übler Trick, den wir bereits vom Börsengeschehen kennen: "Verlust geringer als angenommen", lauten zahlreiche Statements von Finanzanalysten. Motto: Anstatt befürchtete Miese in Höhe von 200 Millionen sind es zum Glück "bloß" 150 Millionen. So werden dem Börsenkurs abträgliche Entwicklungen positiv umgedeutet. Will heißen: Wenn der Verlust geringer ist als ursprünglich angenommen, befindet sich das Unternehmen - trotz roter Zahlen - wenigstens auf einem guten Weg. Das Dumme ist, dass Verlustprognosen meist nicht viel mehr sind als reine Kaffeesatzleserei. Denn wer kann ausschließen, dass die Befürchtungen nicht von Anfang an total übertrieben waren? Niemand. Sehen Sie! Es geht aber auch umgekehrt: Usain Bolt langsamer als gedacht - mit 9,6 Sekunden deutlich über dem erwarteten neuen Weltrekord von 8,9 Sekunden. Merken Sie was? Übrigens: "Die Kosten der Verkehrslärm-Studie von knapp zehn Millionen Euro tragen unter anderem der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport und die Luftverkehrsgesellschaften", schreibt die FAZ. [1] Nehmen wir an, Volkswagen würde eine Studie zur Schädlichkeit von Autoabgasen finanzieren. Oder Monsanto eine zu den Auswirkungen von Gen-Mais auf die Gesundheit. Oder der Tabakkonzern Philip Morris eine über die Krebsgefahr des Rauchens. Oder McDonald’s eine über die Korrelation von Fast-Food und Adipositas. Würden Sie dann der Aussage "... schädigt die Gesundheit weniger als angenommen" Glauben schenken? Wohl kaum. Kein Wunder, dass aus berufenem Munde bereits Kritik an der Verkehrslärm-Studie laut wird. [2] Ich sage nur: Trau, schau, wem! Manche Studien fordern ja Spott und Häme geradezu heraus: Ein Glas Rotwein soll nach einer kanadischen Studie die gleiche Wirkung haben wie eine Stunde Jogging oder Fitnesstraining. [3] Seitdem ich das weiß, habe ich mein tägliches Ausdauertraining auf vier Stunden joggen erhöht. Auf einen Liter Rotwein, meine ich natürlich. Ist ja laut Studie ohnehin das Gleiche. Die Muskelberge meines Bauches wachsen denn auch beständig. So fit war ich noch nie, sagt mir mein Hosengürtel. Wurst und Schinken gelten neuerdings als krebserregend. Jedenfalls einer Studie der WHO zufolge. [4] Gerüchte besagen, um Veganer analog zum Passivrauchen vor dem Passivessen zu schützen, müssten Wurstesser demnächst den Qualmern in der Raucherecke vor der Tür Gesellschaft leisten. Restaurants dürften aber weiterhin Fleischspeisen anbieten, sofern sie dafür geeignete, abtrennbare Nebenräumlichkeiten bereithalten. Ausnahme: Reine Fleischfresser-Lokale mit Zutrittsbeschränkung "ab 18 Jahre". Dass Fast-Food-Ketten längst mit dem Veggie-Burger Experimente machen, hat daher einen handfesten Hintergrund. Die gute, alte Fernbedienung könnte laut einer Studie bald ausgedient haben, weil die Fernsehzuschauer stattdessen vermehrt zu Alternativen wie Sprachsteuerung oder Gestenerkennung greifen. [5] Das bedeutet: Die Geräte hören und sehen alles mit, was in unseren Wohnzimmern passiert, denn sie müssen ja im Standby-Betrieb sofort auf Zuruf oder auf Handbewegungen reagieren. Selbstverständlich sind diese Geräte mit dem Internet verbunden. Wer da mithört respektive mitsieht, bleibt unserer Fantasie überlassen. George Orwell, in dessen Roman "1984" Teleschirme zur Überwachung der Bevölkerung eine zentrale Rolle spielen, hätte gewiss seine Freude daran gehabt. Und der Clou ist: Wir stellen uns diese Dinger auch noch freiwillig in unsere Wohnungen. Die eingebauten Gerätekameras liefern übrigens erstklassige Qualität. Bislang ungelöstes Problem: Manche machen es tatsächlich noch im Dunkeln. Anders ausgedrückt: Mit welchem Argument überrede ich die Kundschaft zum Kauf eines Fernsehers mit Infratotkamera? "Nagellack liegt voll im Trend", meldet die Bunte, soll aber laut einer Studie der Duke University aus North Carolina bedauerlicherweise dick machen. [6] Chantal aus Neukölln ist erleichtert: "Jetzt, wo ick dat wees, kann ick mir endlich widder inner rosa Jogginghos zeige, denn dat Ding war mir zu eng." Chantal kauft nämlich künftig bei Aldi leistungsfördernden Rotwein anstatt dickmachenden Nagellack. "Ick saach nur eens", verkündet Chantal ihre hochgesteckten Ziele: "Berlin-Marathon 2016." Prost, wohl bekomm's! Studien widersprechen sich gelegentlich. "Eine exklusive Studie belegt, dass Sparen aus der Mode kommt." Grundlage ist eine repräsentative Befragung des Instituts für Demoskopie Allensbach. "Sparen macht den Deutschen keinen Spaß mehr." [7] "Die Lust am Sparen ist unvergänglich", lautet dagegen das Fazit einer Sparkassen-Studie. Die Bundesbürger ließen sich die Lust am Sparen trotz Niedrigzinsen einfach nicht nehmen. [8] Jetzt wissen wir es aber genau. Besonders beliebt sind Studien über Liebe und Partnerschaft. "Männer kommen nicht gut mit klugen Frauen klar", meldet die Bild-Zeitung. Zu diesem Ergebnis soll eine groß angelegte Studie gleich dreier Universitäten aus New York, Kalifornien und Texas gekommen sein. [9] Ob es dazu wirklich einer Studie bedurft hätte? Egal, denn intellektuelle Defizite lasse sich ganz leicht kompensieren: "Bier macht Männer besser im Bett", sagt zumindest die Sex-Studie einer Sex-Expertin. Bier helfe bei der Leistungssteigerung im Bett, es bringe bessere Ausdauer und senke überdies das Herzinfarktrisiko. [10] Merke: Rotwein für die Leistungssteigerung beim Marathon, Bier für die Leistungssteigerung im Bett - dabei aber bitte nicht so viel quasseln, denn selbst dumme Frauen mögen keine lallenden Liebhaber. Apropos, daher kommt auch das Klischee vom schweigsamen Mann. Vorsicht, wenn Sie meine Artikel für belanglos halten, das könnte gefährlich werden. Eine Studie der Uni Innsbruck hat nämlich vor kurzem herausgefunden, dass es in puncto Gefährlichkeit darauf ankommt, wie man seinen Kaffee trinkt. Wer Bitteres mag, sei eher der harte Typ, lesen wir da. "Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass Menschen, die bevorzugt bittere Geschmäcker lieben, öfter mit Psychopathie, Alltags-Sadismus und Aggression assoziiert werden." [11] Habe ich Ihnen schon gesagt, dass ich meinen Kaffee stets schwarz trinke? Ach, wirklich nicht? Nun, dann ich würde mir an Ihrer Stelle ab sofort jede Kritik gut überlegen... ---------- [1] FAZ.Net vom 30.10.2015 [2] Frankfurter Neue Presse vom 31.10.2015 [3] SAT1 vom 30.10.2015 [4] Stiftung Warentest vom 29.10.2015 [5] digitalfernsehen.de vom 30.10.2015 [6] Bunte vom 26.10.2015 [7] Die Welt-Online vom 26.10.2015 [8] Handelsblatt vom 27.10.2015 [9] Bild.de vom 25.10.2015 [10] news.de vom 30.10.2015 [11] Huffington Post vom 15.10.2015 |