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16. Januar 2016, von Michael Schöfer
Ausnahmsweise könnte Donald Trump recht haben


"Birther", nennt man in den USA eine Gruppierung, die bezweifelt, dass Barack Obama der rechtmäßige US-Präsident ist. Sie stützt sich dabei auf einen Passus der Verfassung der Vereinigten Staaten, welche in Artikel II, Abschnitt 1 festschreibt: "In das Amt des Präsidenten können nur in den Vereinigten Staaten geborene Bürger oder Personen, die zur Zeit der Annahme dieser Verfassung Bürger der Vereinigten Staaten waren, gewählt werden..." Die Betonung liegt auf "nur in den Vereinigten Staaten geborene Bürger". Obama, behaupten jedenfalls die Birther, sei gar nicht in den USA geboren. Und das ungeachtet seiner Geburtsurkunde, die als Geburtsort Honolulu/Hawaii ausweist. [1] Natürlich bezweifeln die Birther auch die Echtheit der Urkunde. Beweise blieben sie allerdings schuldig.

Die Birther erleben derzeit eine ungeahnte Renaissance, denn Donald Trump, der aussichtsreichste republikanische Bewerber um die Nominierung der Grand Old Party, behauptet, sein in Umfragen hartnäckigster Verfolger, Senator Ted Cruz, könne kein Präsident werden, da er 1970 im kanadischen Calgary geboren ist. Cruz leugnet seinen kanadischen Geburtsort nicht. "Trump trampelt weiter", titelte die ARD auf ihrer Website, weil der Rechtspopulist in der letzten Fernsehdiskussion vor den Primaries diese keineswegs unerhebliche Frage erneut aufwarf. "Trump zweifelte an, ob Senator Cruz, Sohn eines Kubaners und einer Amerikanerin, der in Kanada geboren wurde, überhaupt ein richtiger US-Bürger sei und die rechtlichen Voraussetzungen für die Präsidentschaft erfülle. 'Über deinem Kopf schwebt ein großes Fragezeichen', sagte der Immobilientycoon. 'Das kannst du der Partei nicht zumuten.' (…) Der Senator konterte, dass die Gesetze in dieser Sache klar seien: 'Das im Ausland geborene Kind eines US-Bürgers ist von Geburt an US-Staatsbürger. Trump macht das doch nur, weil ich ihm in Umfragen auf den Pelz rücke', konterte Cruz. 'Die Verfassung hat sich nicht geändert - die Umfragewerte schon.'" [2]

Man muss kein Fan von Donald Trump sein, um seinen Einwurf zumindest für bedenkenswert zu halten. Der Wortlaut der Verfassung scheint ihm diesbezüglich recht zu geben. So einfach, wie Ted Cruz glaubt, wird er diese Diskussion nicht vom Tisch bekommen. Schon gar nicht, sollte er sich in den Primaries tatsächlich durchsetzen. Die Verfassung spricht nämlich im englischen Original von "natural born citizen", und dieser Begriff wird unterschiedlich ausgelegt. Ein Urteil des Supreme Court (Oberster Gerichtshof) dazu steht noch aus, es gibt demzufolge bislang keine verbindliche Definition. Eingebürgerte Amerikaner scheiden unstreitig aus (kein natural born citizen). In Amerika Geborene sind nach dem Geburtsortsprinzip (14. Zusatzartikel) unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Eltern amerikanische Staatsbürger und damit natural born citizen. Kinder amerikanischer Staatsbürger sind nach dem dort zugleich geltenden Abstammungsprinzip ebenfalls automatisch Staatsbürger der USA, sollten sie jedoch im Ausland geboren sein, ist ihr Status (natural born citizen - ja oder nein?) umstritten. Genau das trifft zu seinem Leidwesen auf Ted Cruz zu.

"Juristen sind uneins, was das [natural born citizen] konkret bedeutet. Die früheren Bundesanwälte Neal Katyal und Paul Clement argumentierten in der 'Harvard Law Review', ein Mensch, der ein Elternteil habe, das US-Bürger sei, sei von Geburt an ebenfalls US-Bürger und damit verfassungsmäßig vollständig qualifiziert, Präsident zu werden. Die Verfassungsrechtlerin Mary Brigid McManamon sieht das anders. In einem Artikel in der 'Washington Post' verweist sie auf das britische Common Law, auf dem die amerikanische Verfassung basiere. Dem Common Law zufolge meine 'natural born citizen' einen Bürger, der im Herrschaftsgebiet der englischen Krone zur Welt gekommen sei. So habe es auch James Madison gesehen, der in den USA als 'Vater der Verfassung' gilt." [3]

Eine Besonderheit der US-Verfassung sind Passagen, die beim Inkrafttreten im Jahr 1787 zwar durchaus Sinn machten, aber inzwischen obsolet sind. Beispiel: "Die Einwanderung oder Hereinholung solcher Personen, deren Zulassung einer der derzeit bestehenden Staaten für angebracht hält, darf vom Kongreß vor dem Jahre 1808 nicht verboten werden, doch kann eine solche Hereinholung mit Steuer oder Zoll von nicht mehr als zehn Dollar für jede Person belegt werden." (Artikel I, Abschnitt 9, Hervorhebung durch den Autor) 1808 ist längst vorbei. In einer Fußnote werden wir darüber belehrt, dass diese Klausel überholt ist, trotzdem steht sie nach wie vor in der Verfassung. Auch der Passus, es könne nur der zum Präsident gewählt werden, der "zur Zeit der Annahme dieser Verfassung Bürger der Vereinigten Staaten" war, ist mittlerweile antiquiert (es sei denn, es fände sich noch irgendwo in den USA ein 270 Jahre alter Methusalem). Die USA sind eine Einwanderergesellschaft, 1787 gab es viele US-Bürger, deren Geburtsort im Ausland lag, das hätte viele bei der Präsidentschaftswahl von vornherein vom passiven Wahlrecht ausgeschlossen. Die Verfassung hätte Cruz 1787 geholfen, aber jetzt nicht mehr.

Sollte Ted Cruz republikanischer Präsidentschaftskandidat werden, dürfte diese Frage erneut auftauchen. Mit Sicherheit spätestens dann, falls er Ende des Jahres (8. November) zum 58. Präsident der Vereinigten Staaten gewählt wird. Klagen sind jedenfalls nicht auszuschließen. Ob sich der Supreme Court, fünf der neun Mitglieder wurden von republikanischen Präsidenten ernannt, der modernen oder der traditionellen Auslegung der Verfassung anschließt, steht in den Sternen. Kurios: Unter Umständen könnte ein rechter Präsident mit den Argumenten der Birther vom rechten Rand des politischen Spektrums zu Fall gebracht werden. Das wäre somit ein klassisches Eigentor.

Selbstverständlich will Donald Trump mit dieser Diskussion die Anhänger von Ted Cruz verunsichern und sich dadurch in den unmittelbar bevorstehenden Primaries (01.02. bis 07.06.) einen Vorteil verschaffen. Dennoch, die Nominierung von Ted Cruz wäre für die Republikaner ein unkalkulierbares Risiko. Bekanntlich ist man vor Gericht und auf hoher See in Gottes Hand. Will heißen: Man weiß nie, wie es ausgeht. Ein gewählter Präsident, dessen Legitimität im Nachhinein vom Supreme Court widerrufen wird, wäre zweifellos verheerend. Ohnehin ist die Wahl zwischen den Kandidaten der Grand Old Party buchstäblich die Wahl zwischen Pest und Cholera. Ein US-Präsident namens Donald Trump wäre eine politische Katastrophe, doch die ideologischen Unterschiede zu seinen Konkurrenten sind marginal. Die Republikaner sind inzwischen so weit nach rechts gerückt, dass mit ihrem Sieg das irrationale Moment Oberhand gewinnen würde. Ted Cruz, Rand Paul und Marco Rubio stehen beispielsweise der Tea-Party-Bewegung nahe. Ben Carson glänzt ebenso mit absurden Standpunkten wie Mike Huckabee.

Da ist die Hoffnung, am Ende möge die Demokratin Hillary Clinton gewinnen, naheliegend. Kommt es anders, wird es wahrscheinlich recht ungemütlich. Da die Republikaner sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat ihre Mehrheit verteidigen dürften, könnte die Rechte erstmals seit 2006 wieder durchregieren. Bloß zur Erinnerung: Damals schimpfte sich ein gewisser George W. Bush Präsident der Vereinigten Staaten. Und mit seinem desaströsen Erbe (Situation in Nahost, Guantanamo, ausufernde Überwachung durch die Geheimdienste etc.) müssen wir uns ja heute noch herumschlagen. Nimmt man die Äußerungen von Donald Trump für bare Münze, erscheint Bush im Vergleich dazu sogar als gemäßigt. Darauf, dass Trumps Äußerungen lediglich Wahlkampfrhetorik sind, sollte man sich nicht verlassen.

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[1] Regierung der Vereinigten Staaten, Weißes Haus, PDF-Datei mit 377 kb
[2] tagesschau.de vom 15.01.2016
[3] n-tv vom 16.01.2016