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Archiv | Leserbriefe
| Impressum 23. Januar 2016, von Michael Schöfer Kneifen vor der Debatte Auf der Agora der griechischen Polis fielen wichtige Entscheidungen, hier warb einst Themistokles (525 v. Chr. - 459 v. Chr.) für den Ausbau der Athenischen Flotte, Grundlage des Sieges der Griechen über die Perser bei der Seeschlacht von Salamis. "Er verstand sich aufs Reden, aufs Überzeugen - auch wenn er sich, seiner Entschiedenheit wegen, viele Gegner oder gar Feinde schuf. (…) Vermutlich (…) waren schon damals diejenigen die Mächtigsten in Athen, die es vermochten, das Vertrauen der Volksversammlung (…) zu gewinnen." [1] Themistokles überzeugte die Athener, den Ertrag neu entdeckter Silberadern für den Bau und die Ausrüstung von zweihundert Kriegsschiffen zu verwenden. Er rettete dadurch nicht nur die Attische Demokratie, sondern vermutlich auch Europa. Hätten damals die Perser gewonnen, wäre die Geschichte dieses Kontinents sicherlich ganz anders verlaufen. Die Agora moderner Demokratien ist das Fernsehen. Nun haben die Politiker unserer Tage ebenfalls zahlreiche Gegner, beispielsweise die rechtspopulistische AfD (Alternative für Deutschland). Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sagt, "die AfD sei in Teilen rechtsextrem, 'Nazis' und 'Rattenfängern' müsse Einhalt geboten, der Einzug der Partei in den Landtag verhindert werden." Sie werde sich deshalb mit AfD-Vertretern nicht an einen Tisch setzen. [2] Ihr baden-württembergisches Pendant, Winfried Kretschmann (Grüne), verfolgt die gleiche Strategie. Das Wahlprogramm der AfD sei nicht rechtspopulistisch, sondern rechtsradikal, wettert er. "Die AfD-Leute träten als Biedermänner auf, tatsächlich seien sie Brandstifter." [3] Er wolle der AfD keine Bühne geben. Damit war klar: Weder in Rheinland-Pfalz noch in Baden-Württemberg würde es vor den Landtagswahlen am 13. März zu Fernsehsendungen kommen, in denen die Ministerpräsidenten mit der AfD debattieren. Mit anderen Worten: Dreyer und Kretschmann kneifen. Erbärmlich, die Angst der Demokraten vor den "Argumenten" der Rechtspopulisten. Entweder man hat die besseren Argumente oder man hat sie nicht. Und wenn man sie hat, sollte man auch darauf vertrauen, die Zuschauer überzeugen zu können. SWR-Chefredakteur Fritz Frey klagt: "Mich ärgert das Demokratieverständnis der Regierungsparteien. Man möchte denen fast zurufen: Was seid ihr eigentlich für Schönwetterdemokraten, wenn ihr euch jetzt wegduckt, anstatt euch auf die Bühne zu begeben." [4] Die "Elefantenrunde" hätte schließlich auch die Gelegenheit geboten, die AfD zu demaskieren, aber das haben sich offenbar weder Dreyer noch Kretschmann zugetraut. Stattdessen flüchten sie unter fadenscheinigen Ausreden vor der politischen Auseinandersetzung. Hätte Themistokles genauso gehandelt (Furcht vor der Debatte auf der Agora), wäre die Athener Flotte wohl nie gebaut worden. Ernüchternde Erkenntnis: Dreyer ist eben keine Athene (Göttin der Weisheit, der Strategie und des Kampfes) und Kretschmann definitiv kein Perikles (legendärer Athener Staatsmann). Noch schlimmer: Beide müssen die Wählerinnen und Wähler für ziemlich einfältig halten, wenn sie diesen absprechen, sich ein eigenes Urteil bilden zu können. Man fragt sich unwillkürlich, welches Politikverständnis hinter der blamablen Verweigerungshaltung steckt. Entlarvt die Feinde der Demokratie, aber tragt dabei nicht die Demokratie selbst zu Grabe, denn die lebt vom öffentlich ausgetragenen (friedlichen) Kampf divergierender Meinungen. Erbärmlich ist aber auch die Angst des SWR vor den Politikern. An Stelle von Peter Boudgoust, dem Intendant des SWR, hätte ich alle chancenreichen Parteien zur Elefantenrunde eingeladen. Wer nicht kommt, ist halt nicht da und daran selbst schuld (sogar wenn es die Ministerpräsidentin ist). Die Sendung abzublasen, war der falsche Weg. Die leeren Stühle von Dreyer und Kretschmann hätten mehr ausgesagt als 1000 Worte. Wahrscheinlich wären sie sowieso im allerletzten Moment umgefallen. Zu spät, mit ihrer Weigerung treiben sie der AfD bloß die Wählerinnen und Wähler in die Arme, denn Kneifen vor dem Gegner wird von der Wählerschaft kaum goutiert. Das, was sie als Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus verkaufen wollten, entpuppt sich nun als Rohrkrepierer. Ein echtes Armutszeugnis. ---------- [1] Christian Meier, Athen, Berlin 1993, Seite 243 und 270 [2] Süddeutsche vom 23.01.2016 [3] Spiegel-Online vom 21.01.2016 [4] Stuttgarter Zeitung vom 22.01.2016 |