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03. Februar 2016, von Michael Schöfer
Die AfD ernst nehmen?
Es helfe der AfD, sie lediglich auf ihre fremdenfeindliche,
zum Teil sogar rassistische Ideologie zu reduzieren, behaupten
manche. Man müsse sie vielmehr in Sachfragen ernst nehmen. Ich
hab's getan, ich habe das baden-württembergische
Landtagswahlprogramm der AfD durchgelesen. [1] Auf den
insgesamt 64 Seiten begegnet einem natürlich neben den
erwartbaren Passagen zum Asylrecht auch krudes Zeug, so sei
etwa die Klimaschädlichkeit des anthropogenen CO2 unbelegt
(Seite 48). Man erfährt ebenso, dass sich die AfD für die
Kernkraft einsetzt, so als hätte es Fukushima nie gegeben
(Seite 49).
Um die Auseinandersetzung mit dem Landtagswahlprogramm
einigermaßen übersichtlich zu gestalten, habe ich mich nur auf
fiskalische Forderungen und Vorschläge konzentriert: Wofür
würde die AfD Geld ausgeben, und wo würde sie Geld einsparen?
Tabelle 1 gibt in Stichpunkten die Ausgabewünsche der Partei
wieder, in Tabelle 2 sieht man ihre Einsparvorschläge.
Zum Teil ist nicht ganz klar, warum die AfD bestimmte
Forderungen in ihr Landtagswahlprogramm aufgenommen hat.
Beispielsweise soll die Zweckentfremdung der Kfz-Steuer durch
den Bund beendet werden, dadurch würden ausreichend Mittel für
Ausbau und Erhalt der Straßen zur Verfügung stehen. Die
Kfz-Steuer ist seit 2009 eine reine Bundessteuer (Art. 106
Abs. 1 Nr. 3 Grundgesetz). Und eine Zweckbindung von
Steuereinnahmen ist im Haushaltsgrundsätzegesetz und in der
Bundeshaushaltsordnung ausdrücklich ausgeschlossen. Beides
sind Bundesgesetze. Die Straßenbaulast ist überdies gesetzlich
aufgeteilt:
- Bundesautobahnen und
Bundesstraßen = Bund
- Landesstraßen = Länder
- Kreisstraßen = Landkreise und
kreisfreie Städte
- Gemeindestraßen = Städte und
Gemeinden.
Die Länder zahlen die
Straßenbaulast für die Landesstraßen aus ihrem Haushalt, in
den aber die Kfz-Steuer gar nicht einfließt. Da passt also
etwas nicht zusammen. Okay, es gibt für bestimmte Vorhaben
Zuschüsse des Bundes für Investitionen zur Verbesserung der
Verkehrsverhältnisse der Gemeinden
(Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz), die Welt ist eben
komplizierter als gedacht. Die AfD-Forderung mag vielleicht
populär klingen, doch selbst wenn man die Zweckbindung
einführen würde, gäbe es andernorts logischerweise
Deckungslücken. Wo, das sagt die AfD nicht. Ebenso wenig, wie
diese kompensiert werden sollen.
Wie überhaupt vieles diffus ist, was heißt zum Beispiel
"Steuergerechtigkeit" konkret? Die Inkonsistenz des
Wahlprogramms fällt auf: Die Steuern sollen gesenkt und die
Ausgaben drastisch erhöht werden, aber gleichzeitig ist die
Schuldenbremse einzuhalten. Wie das genau geschehen soll,
bleibt uns die AfD schuldig.
Tabelle 1:
Ausgabewünsche AfD-Landtagswahlprogramm BW |
Justiz und Polizei mit
den notwendigen rechtlichen, personellen und
materiellen Ressourcen ausstatten |
Seite 8 |
Mindestens 20 Prozent
mehr Polizisten im Streifendienst sowie eine
Verdoppelung der Stellen im Einbruchsdezernat |
Seite 9 |
Finanzielle Stärkung
des zivilen bürgerschaftlichen Engagements |
Seite 11 |
Mehr Personalstellen
für die Polizei Baden-Württembergs: "Um die Quote
Mecklenburg-Vorpommerns zu erreichen, müssten in
Baden-Württemberg über 10.000 (!) zusätzliche
Stellen geschaffen werden." |
Seite 11 |
Leistungsgerechte
Bezahlung der Polizei, Abschaffung der mittleren
Dienstlaufbahn im Polizeiberuf, flächendeckende
Einführung sogenannter Bodycams |
Seite 11 |
Flächendeckende
Ausstattung von Polizei und Vollzugsbeamten mit
effektiven Selbstschutzmitteln, wie stich- und
schusssicheren Westen |
Seite 12 |
Angemessene personelle
und materielle Ausstattung der Justiz |
Seite 12 |
Jedem Opfer einer
schweren Straftat soll künftig auf Staatskosten ein
Opferanwalt zur Seite gestellt werden |
Seite 13 |
Die AfD erklärt die
Einhaltung der Schuldenbremse zu einem ihrer
obersten Gebote. Konsumausgaben dürfen nicht mehr
durch zusätzliche Schulden getätigt werden. Ersparte
Zinsen und zusätzliche Steuereinnahmen sind für die
Tilgung von Altschulden einzusetzen. Zur Einhaltung
der Schuldenbremse stehen alle programmatischen
Forderungen der AfD unter einem
Finanzierungsvorbehalt. Wegen der notwendigen
Konsolidierung des Landeshaushalts sind die
Haushaltsmittel nur beschränkt verfügbar. |
Seite 26 |
Bürgerarbeit statt
Hartz IV, Bürgerarbeit soll ca. 30 Wochenstunden
umfassen und mit ca. 1.000 EUR monatlich
sozialversicherungspflichtig entlohnt werden. |
Seite 27 |
Finanzielle Stärkung
der Familien |
Seite 28 |
Anhebung des
Kinderfreibetrags auf die Höhe des steuerfreien
Existenzminimums (Grundfreibetrag) für
Steuerpflichtige, Anhebung des Kindergeldes ist bis
zur Höhe des Regelsatzes für Kinder in
Bedarfsgemeinschaften von Arbeitssuchenden,
Ehegattensplitting erhalten, aber zu einem
Familiensplitting weiterentwickeln |
Seite 29 |
Erziehungsleistung
stärker auf die Rente anrechnen |
Seite 29 |
Für Elternteile, die
vor der Geburt eines Kindes nicht erwerbstätig
waren, ist der Mindestbetrag des Elterngeldes
deutlich zu erhöhen, Betreuungsgeld durch das Land
Baden-Württemberg weiterführen |
Seite 29 |
Für alle Eltern, die
das staatliche Betreuungsangebot in Kitas nicht in
Anspruch nehmen, einen gerechten finanziellen
Ausgleich gewährleisten |
Seite 32 |
Vollumfängliche
Lehrmittelfreiheit und die elternanteilfreie
Schülerbeförderung, das Land soll den Gemeinden und
Gemeindeverbänden den durch Schulgeld und
Lehrmittelfreiheit entstehenden Ausfall und
Mehraufwand zu ersetzen |
Seite 34 |
Abgabenlast für Bürger
und Unternehmen senken, Steuerentlastungen auf
Bundesebene durchsetzen, innerhalb
Baden-Württembergs Grundsteuern und andere Abgaben
und Gebühren für Bürger und Unternehmen senken oder
abschaffen |
Seite 40 |
Moderne und
zukunftsorientierte Infrastruktur bereitstellen
(Verkehrswege, massiver breitbandiger Ausbau der
digitalen Vernetzung auch in den ländlichen
Regionen, langfristige Sicherstellung äußerst
preiswerter Energieversorgung) |
Seite 40 |
Senkung der Steuern und
Abgaben und praktizierte Steuergerechtigkeit |
Seite 41 |
Öffentlicher
Personennahverkehr (ÖPNV) und Zugverkehr weiter
ausbauen |
Seite 45 |
Den ländlichen Raum
wirksam fördern |
Seite 52 |
Stipendiensystem für
Mediziner, die Infrastruktur von Arztpraxen in
unterversorgten Gebieten soll dezentral in
Verantwortung der Gemeinden und unterstützt durch
Finanzmittel des Landes ebenfalls gefördert werden |
Seite 52 |
Notfallversorgung im
Land zu erhalten und patientengerecht ausbauen |
Seite 53 |
Förderprogramme und
Subventionen für Landwirte |
Seite 54 |
Tabelle 2:
Einsparvorschläge AfD-Landtagswahlprogramm BW |
Verschwendung von
Steuergeldern bestrafen |
Seite 26 |
Keine weitere Belastung
der Bürger durch die "Eurorettung" |
Seite 27 |
Fairer
Länderfinanzausgleich |
Seite 27 |
Unterschiedlicher
Beitragssatz für Eltern und Kinderlose zur
gesetzlichen Pflegeversicherung ist auf die anderen
Zweige der Sozialversicherung zu übertragen |
Seite 29 |
Alle Gelder für die
Gender-Forschung und diesbezügliche Projekte und
Lehrstühle an Hochschulen streichen |
Seite 31 |
ca. 90.000 Vorschriften
und Gesetze verursachen angeblich ca. 40 Mrd. €
Kosten pro Jahr, daher Verwaltungsvorschriften und
Gesetze hinsichtlich Sinn, Kosten und Nutzen auf den
Prüfstand stellen und ggf. ersatzlos abschaffen
|
Seite 43 |
Ich habe mich bemüht, nichts Wesentliches zu übersehen.
Hoffentlich ist mir das auch gelungen. Eine Gegenüberstellung
der finanziellen Aspekte zeigt m.E. auf den ersten Blick, dass
das Wahlprogramm der AfD vollkommen unrealistisch ist. Die
Einsparungen sind vage, die Ausgabenposten indes riesig. Aber
in der von ihr angeheizten Stimmung gegen Flüchtlinge kommt es
darauf wohl gar nicht an. Außer Fremdenfeindlichkeit haben die
Rechtspopulisten meiner Meinung nach nicht viel anzubieten.
Manches erinnert an die neue Regierung in Polen: "Die AfD will
auf die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten einwirken
(...), damit Ehe und Familie positiv dargestellt werden."
(Seite 29) Selbstverständlich sind damit ihre speziellen
Vorstellungen von Ehe und Familie gemeint. Es ist ohnehin
bezeichnend, dass bei der AfD das Wort "Pluralismus", die
Koexistenz von verschiedenen Interessen und Lebensstilen in
einer Gesellschaft, nicht ein einziges Mal auftaucht.
Entsprechend würde, falls die AfD hierzulande je das Sagen
hätte, die Gesellschaft auch aussehen.
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[1] AfD Baden-Württemberg, Landtagswahlprogramm 2016,
PDF-Datei mit 3,2 MB
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