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Archiv | Leserbriefe
| Impressum 20. Februar 2016, von Michael Schöfer Diese extrem aggressive Spezies - viel zu gefährlich Kürzlich habe ich einen Science-Fiction-Roman gelesen, in dem eine außerirdische Maschinenkultur der Menschheit verbietet, das Sonnensystem zu verlassen. Immerhin erlauben sie den Menschen, sich innerhalb ihres Sonnensystems frei zu bewegen. "Wir sind bisher noch auf keine Spezies gestoßen, die so aggressiv agiert wie die Menschen", beklagen die Aliens. "Die meisten anderen Völker arbeiten kooperativ zusammen, ähnlich dem, was ihr Schwarmintelligenz nennt. Mit der Entwicklung von Werkzeugen und der darauffolgenden Unterwerfung der Umwelt erübrigt sich prinzipiell die Notwendigkeit von Aggression, die bei der Weiterentwicklung eher kontraproduktiv ist. Bei den Menschen herrscht eine ausgesprochen fragile Balance zwischen Individualität und Kooperation." [1] Man muss keine Science-Fiction-Romane lesen, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass wir in der Tat eine äußerst streitlustige Spezies sind, dazu genügt ein Blick in die aktuellen Nachrichten vollauf. Die Geschichte der Menschheit ist eine dichte Abfolge von Mord und Totschlag. Kollektiv oder individuell. Schon vor etwa 7.000 Jahren, in der Jungsteinzeit, kam es beispielsweise in der Nähe des heutigen Frankfurt am Main zu einem furchtbaren Massaker: "Mindestens 26 Menschen wurden wahrscheinlich gefoltert, erschlagen und dann in eine Grube geworfen. (…) An vielen Schädeln und vor allem an den Waden- und Schienbeinen haben wir Frakturen gefunden. Diese Knochenbrüche müssen mit einer enormen Wucht entstanden sein", berichten Paläontologen. [2] Das kommt uns nur allzu bekannt vor. Wenn wir nicht genau wüssten, dass der Islamische Staat erst im 21. Jahrhundert entstanden ist... Das älteste nachgewiesene Mordopfer fanden Wissenschaftler in Nordspanien, wo vor rund 430.000 Jahren ein Mensch erschlagen wurde. [3] Zumindest die Europäer haben sich inzwischen daran gewöhnt, persönlich keinen Krieg mehr mitzuerleben. 70 Jahre Frieden seit dem Zweiten Weltkrieg erscheinen uns mittlerweile als Normalzustand. Lassen wir die Kriege auf dem Balkan (Bosnienkrieg 1992-1995, Kosovokrieg 1999) einmal außer Acht, ist diese Annahme keineswegs unbegründet. Nichtsdestotrotz ist sie vielleicht ein tragischer Irrtum, denn historisch gesehen ist diese Friedensperiode bloß eine Anomalie, der eigentliche Normalzustand ist von exzessiver Gewaltanwendung geprägt (inner- wie zwischenstaatlicher Natur). Dieser Ausnahmefall scheint sich offenbar seinem Ende zuzuneigen. Der Hass wird immer größer, die Neigung zur Gewalt ebenso. Der nationalistische Egoismus wächst von Neuem - und damit die Abneigung zwischen den Völkern. Die Emotionen kochen hoch, viele Wähler rennen zweifelhaften, testosterongesteuerten Subjekten hinterher (Recep Erdogan, Wladimir Putin, Donald Trump etc.), die ihre Länder ins Unglück stürzen respektive dies großspurig ankündigen. Stellen Sie sich einmal kurz vor, Trump käme tatsächlich in die Nähe des Roten Knopfes, d.h. er hätte die Verfügungsgewalt über die amerikanischen Nuklearwaffen. Ahnen Sie nun, was der Menschheit blühen könnte? Warum ist das so? Und gibt es einen Ausweg? In Douglas Adams' Science-Fiction-Roman "Per Anhalter durch die Galaxis" wurde einem Supercomputer die Frage aller Fragen gestellt, nämlich die "nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest". Nach einer Rechenzeit von 7,5 Millionen Jahren lautete die keineswegs zufriedenstellende Antwort: "Zweiundvierzig!" Und was schließen Sie daraus? Dass ich Science-Fiction-Stories mag? Richtig! Und was noch? Tja... Höchstwahrscheinlich, dass selbst Supercomputer gelegentlich ratlos sind. Aber man braucht in der realen Welt gar keinen Supercomputer, um in der gleichen Ratlosigkeit zu landen, wie die Protagonisten in "Per Anhalter durch die Galaxis", denn wir nähern uns Zeiten, die durchaus der Unübersichtlichkeit des Dreißigjährigen Krieges gleichkommen. Ein Beispiel: Die USA sind mit der Türkei verbündet, beide sind im syrischen Bürgerkrieg Gegner Russlands und der Regierung in Damaskus. Die Türkei bombardiert die kurdische YPG, die von Wladimir Putin und Baschar al-Assad unterstützt wird. Und kurioserweise von den USA, dem türkischen Verbündeten. Alles ist total verworren. Immerhin sind sich sämtliche Beteiligten einig, gegen den IS zu sein. Fügen wir mal vorsichtshalber "offiziell" hinzu (was im Verborgenen läuft, können wir ja ohnehin bloß erahnen). Es ist eine grauenvolle Achterbahnfahrt der Gefühle: Vor wenigen Jahren haben wir noch euphorisch die Arabellion begrüßt. Nun zerbröseln nach und nach alle Hoffnungen. Gäbe es wirklich eine außerirdische Maschinenkultur, müsste sie die Menschheit in der Tat vorsorglich im eigenen Sonnensystem einsperren - zum Schutz der anderen galaktischen Zivilisationen. Diese extrem aggressive Spezies frei herumfliegen zu lassen, wäre nämlich viel zu gefährlich. Aber wer weiß, es ist ja momentan nur der technischen Unzulänglichkeit des Homo sapiens zuzuschreiben, dass diesbezüglich überhaupt keine Gefahr besteht (mit den derzeit erreichbaren Geschwindigkeiten unserer Raumschiffe würde eine Reise zum nächsten Nachbarstern, dem 4,24 Lichtjahre entfernten Proxima Centauri, rund 75.000 Jahre dauern). Ich bin dennoch ein bisschen optimistisch, dass am Ende die Vernunft siegen wird. Die Geschichte der Menschheit ist stets auch von Rückschlägen geprägt gewesen, trotzdem haben sich die Verhältnisse sukzessive gebessert. Oder gibt es ein Zeitalter, in dem Sie lieber gelebt hätten? Vielleicht in der Jungsteinzeit? Sehen Sie! ---------- [1] Phillip P. Peterson, Paradox, Köln 2015, Seite 438 [2] Handelsblatt vom 18.08.2015 [3] Spektrum.de vom 28.05.2015 |