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19. Mai 2016, von Michael Schöfer
Ist es schon wieder so weit?


Der Extremismusforscher Steffen Kailitz vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung darf seine Darlegungen aus dem NPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht vorläufig nicht mehr wiederholen. Das verbietet ihm zumindest eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Dresden. [1] Diese wurde ohne vorherige Anhörung erlassen.

Ich weiß gar nicht, was da so schwer zu verstehen ist. Die NPD fordert in ihrem Parteiprogramm "eine gesetzliche Regelung zur Rückführung der derzeit hier lebenden Ausländer. Grundsatz deutscher Ausländerpolitik ist: Rückkehrpflicht statt Bleiberecht." [2] Was ist unter einer "Rückführung" zu verstehen? Nun, auf ihrer Website sagt die NPD ausdrücklich: "Ausländer [sind] als Arbeitsplatzkonkurrenten und Sozialschnorrer konsequent aus Deutschland auszuweisen." [3] Das darf man nicht als freundliche Aufforderung missverstehen, Rückkehrpflicht und Ausweisung klingen in meinen Ohren eindeutig nach Zwang.

Interessant wird das Ganze, wenn man sich ansieht, wen die NPD als Ausländer definiert. Auf ihrer Website schreibt sie nämlich: "Deutscher ist, wer deutscher Herkunft ist und damit in die ethnisch-kulturelle Gemeinschaft des deutschen Volkes hineingeboren wurde. (…) Ein Afrikaner, Asiate oder Orientale wird nie Deutscher werden können, weil die Verleihung bedruckten Papiers (eines BRD-Passes) ja nicht die biologischen Erbanlagen verändert, die für die Ausprägung körperlicher, geistiger und seelischer Merkmale von Einzelmenschen und Völkern verantwortlich sind. (…) Angehörige anderer Rassen bleiben deshalb körperlich, geistig und seelisch immer Fremdkörper, gleich wie lange sie in Deutschland leben, und mutieren durch die Verleihung bedruckten Papiers nicht zu germanischstämmigen Deutschen. (…) Deutsch ist eine ethnische Herkunftsbezeichnung und keine Bezeichnung des momentanen Wohnortes oder des Passes." [4]

Im Gegensatz zum Grundgesetz (Artikel 3: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (…) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.") definiert die NPD die Staatsangehörigkeit ethnisch. Wenn also laut NPD beispielsweise ein Asiate nie Deutscher werden kann, die Verleihung der Staatsangehörigkeit reicht hierfür ja nicht aus, muss er logischerweise Ausländer sein. Entweder oder. Und da die NPD in diesem Zusammenhang ausdrücklich von "biologischen Erbanlagen" spricht, trifft das zweifellos auch auf dessen Abkömmlinge zu - egal wo sie geboren sind und wie lange sie hier leben ("Angehörige anderer Rassen bleiben (...) immer Fremdkörper"). Die NPD spricht ihnen kurzerhand ihr Deutschsein ab. Damit deutlich wird, was die Konsequenz dieses kruden Weltbildes ist: Philipp Rösler, ehedem FDP-Bundesvorsitzender, Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler, wäre demnach kein Deutscher.

Nun muss man eigentlich bloß noch eins und eins zusammenzählen:

1. Wer nicht "germanischstämmig" ist, kann nie Deutscher werden.
2. Ausländer sind "konsequent aus Deutschland auszuweisen".


Hierzulande leben laut Statistischem Bundesamt 16,4 Mio. Menschen mit Migrationshintergrund (im engeren Sinn), davon sind 9,2 Mio. Deutsche und 7,2 Mio. Ausländer. [5] Wenn ich das, was die NPD nach eigener Aussage will, richtig interpretiere, müssten nahezu alle - ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit (der deutsche Pass ist ja angeblich bloß bedrucktes Papier) - Deutschland verlassen. Ist es wirklich so schwer zu begreifen, was die NPD machen würde, sollte sie je die Möglichkeit haben, ihre Absichten in die Tat umzusetzen? Sie würde ihren ekelerregenden Rassismus verwirklichen, der eindeutig Demokratie und Grundgesetz widerspricht. Darf man in Deutschland neuerdings nicht mehr sagen, was man von alledem hält (nämlich nichts)? Und dass dieser Rassismus rechtswidrig ist? Ist es schon wieder so weit?

"Sachsen hat ein Problem mit Rechtsextremismus", räumt der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich ein. [6] Und es sei größer, als man es bislang wahrhaben wollte. "Er und die überwiegende Mehrheit seines Landes würden deutlich machen, dass mit der Werteordnung des Grundgesetzes eine Grenze gegeben sei, die nicht überschritten werden dürfe." Ich frage mich, wann man in Sachsen endlich damit beginnt, die Werteordnung des Grundgesetzes zu verteidigen. Noch ist das nicht zu erkennen. Und schöne Worte allein sind vollkommen nutzlos. "Der Beschluss des Landgerichts Dresden bestärke leider alle Vorurteile gegen Teile der Justiz in Sachsen", meint die sächsische Linkspartei. [7] Dem ist wirklich nichts mehr hinzuzufügen.

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[1] Landgericht Dresden, Medieninformation 6/16 vom 19.05.2016
[2] NPD, Parteiprogramm, Seite 12
[3] NPD, Brauchen wir angesichts des Bevölkerungsrückgangs nicht Zuwanderung?
[4] NPD, Wer ist denn ein Deutscher? Was versteht die NPD unter "Volk"?
[5] Statistisches Bundesamt, Bevölkerung nach Migrationshintergrund
Definition: Zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund zählen alle, die nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zugezogen sind, alle in Deutschland geborenen Ausländer/-innen und alle in Deutschland mit deutscher Staatsangehörigkeit Geborene mit zumindest einem zugezogenen oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil. Zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund im engeren Sinne gehören alle Zugewanderte und alle in Deutschland geborene Ausländer/-innen. Von den Deutschen mit Migrationshintergrund, die ihre deutsche Staatsangehörigkeit seit Geburt besitzen, haben nur jene einen Migrationshintergrund im engeren Sinne, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil im selben Haushalt leben, weil nur dann die für die Zuordnung entscheidende Elterninformation vorliegt. Zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund im weiteren Sinne gehören zusätzlich jene Deutsche mit Migrationshintergrund, die ihre deutsche Staatsangehörigkeit seit Geburt besitzen und nicht (mehr) mit den Eltern im selben Haushalt leben.
[6] tagesschau.de vom 26.02.2016
[7] Deutschlandfunk vom 19.05.2016