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16. Juli 2016, von Michael Schöfer
Putschende Soldaten sind ein noch viel größeres Unglück


Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat viele Gegner - innerhalb wie außerhalb der Türkei. Und zweifelsohne kann man seine Politik als autokratisch bezeichnen, so ist etwa in der Türkei die Pressefreiheit massiv bedroht, den Bürgern werden Grundrechte vorenthalten, die Unabhängigkeit der Justiz steht dort ebenso in Frage wie die Freiheit der Parlamentarier. Erdogan hat den Krieg gegen die PKK intensiviert, sich außenpolitisch mit etlichen Partnern überworfen und steht sogar in Verdacht, zumindest in der Vergangenheit den sogenannten Islamischen Staat aktiv unterstützt zu haben. Von den zahlreichen skurrilen Beleidigungsklagen ganz zu schweigen. Er ist, kurz gesagt, eine Bedrohung für Demokratie und Menschenrechte. Erdogan leide unter Realitätsverlust und mache die Türkei vor aller Welt lächerlich, behaupten viele.

Dennoch ist all das kein Grund für einen Militärputsch. Soldaten sind dazu da, das Land zu beschützen, aber nicht befugt, sich über das Votum des Volkes hinwegzusetzen. Man kann es drehen und wenden wie man will, Erdogan ist nun mal 2014 mit überzeugenden 51,79 Prozent zum Präsident der Türkei gewählt worden. Ob einem das gefällt oder nicht. Wahlfälschungen à la Putin gab es offenbar keine, wenngleich das staatliche Fernsehen Erdogan viel Sendezeit eingeräumt hat. Putsche haben bislang, und dies gilt nicht bloß für die Türkei, selten etwas Gutes gebracht, sondern in der Regel brutale Unterdrückung Andersdenkender, Folter, Massenmorde, Gefangenenlager, Pressezensur und Abschaffung der Gewaltenteilung. Das Militär schützt die Republik nicht, indem es die republikanischen Werte abschafft. Bekundungen, man wolle die Demokratie retten, sind lediglich Propaganda.

Die Ablehnung des Putsches ist nicht gleichbedeutend mit der Billigung der Politik des Autokraten. Jeder unvoreingenommene Beobachter wird zugeben, dass der türkische Präsident mit seiner Machtbesessenheit das Land zu zerreißen droht. Doch es ist am Volk, diesem Spuk ein Ende zu setzen. Und zwar über die Wahlurnen, nicht über die Gewehrläufe selbsternannter Vaterlandsretter. Außerdem müssen die Verbündeten des Nato-Landes klar machen, dass sie das Abrücken Erdogans von demokratischen Werten verurteilen und die Einhaltung von Mindeststandards fordern. Der türkische Präsident mag für sein Land ein Unglück sein, putschende Soldaten sind es noch viel mehr.