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14. August 2016, von Michael Schöfer
Will man warten, bis es zu spät ist?


"Die Phönizier haben das Geld erfunden - aber warum so wenig?" Dieses Bonmot des österreichischen Dramatikers, Schauspielers und Opernsängers Johann Nepomuk Nestroy (1801-1862) verfehlt heute seine Wirkung. Denn anders als zu Zeiten Nestroys ist Geld keineswegs knapp. Im Gegenteil, es gibt offenbar viel zu viel davon.

Die Raiffeisenkasse Gmund verlangt von ihren Kunden erstmals einen Negativzins für deren Ersparnisse. Das heißt, wenn man dort auf einem Sparkonto Geld anlegt, bekommt man keine Zinsen, sondern muss der Bank sogar welche zahlen: 0,4 Prozent. Der Negativzins ist nichts anderes als eine Aufbewahrungsgebühr. Zwar sind zunächst nur Kunden mit einem Vermögen von mehr als 100.000 Euro betroffen, aber die Raiffeisenkasse Gmund ist damit bundesweit bloß Vorreiter einer Entwicklung, die bald jeden Bankkunden treffen könnte. Die Bank erläutert, warum sie zu diesem Mittel greifen muss: Auf ihren Konten liegen 115 Mio. Euro an Kundeneinlagen, dem stehen aber lediglich 75 Mio. Euro an verliehenen Krediten gegenüber. Für die Differenz muss die Raiffeisenkasse der Europäischen Zentralbank 160.000 Euro zahlen, weil Letztere von der Raiffeisenkasse, die bei der EZB den Einlagenüberhang deponiert, einen Strafzins in Höhe von 0,4 Prozent verlangt. 160.000 Euro sind für die kleine Raiffeisenkasse mit einem Gewinn von 250.000 Euro viel Geld.  [1] Rational ist das Verhalten der Bank also durchaus nachvollziehbar.

Andere Banken leiden ebenfalls unter dem Negativzins der EZB, trauen sich aber noch nicht, von ihren Kunden Negativzinsen zu verlangen, weil die dann ganz abwandern könnten. Denn räumen die Bürger massenhaft ihre Konten, bräche womöglich das ein oder andere Institut zusammen. Die Banken sind zwar auf die Geldeinlagen angewiesen, aber eben in Zeiten, in denen zu wenig investiert wird, nicht auf so üppige. Sie haben nämlich das Problem, das Kapital gewinnbringend anzulegen. Die Nettoanlageinvestitionsquote (Anteil der Nettoanlageinvestitionen am Bruttoinlandsprodukt) ist in Deutschland zwischen 2000 und 2015 von 6,2 Prozent auf 2,5 Prozent gesunken. [2] Lukrative Investments in die Realwirtschaft sind rar, das treibt die Spekulation auf den Finanzmärkten in die Höhe.

Johann Nepomuk Nestroy würde jedenfalls staunen, derzeit gibt es Geld im Überfluss. Nach Angaben der Deutschen Bundesbank besaßen die Privathaushalte Ende 2015 Bargeld und Einlagen (Sicht-, Termin-, Spareinlagen sowie Sparbriefe) in Höhe von 2.083,1 Mrd. Euro. [3] Rechnerisch hat jeder Einwohner Deutschlands, vom Baby bis zum Greis, 25.475 Euro auf der hohen Kante. Einschränkend muss man hinzufügen: Manche haben zu viel Geld, andere zu wenig, denn die Kluft zwischen Arm und Reich wächst beständig.

2014 betrugt das Nettovermögen der deutschen Haushalte (Sach- und Finanzvermögen nach Abzug der Schulden) im Durchschnitt 214.500 Euro, doch davon gehören den reichsten 10 Prozent der Haushalte 59,8 Prozent, während der Anteil der unteren Hälfte lediglich 2,5 Prozent betrug. [4] Rund 4 Mio. Haushalte besaßen also fast 60 Prozent des Gesamtvermögens, ca. 20 Mio. Haushalte mussten sich mit überschaubaren 2,5 Prozent begnügen.

Übrigens eine globale Entwicklung: Ende 2015 gab es weltweit 2.473 Milliardäre (6,4 % mehr als 2014) mit einem Vermögen von 6,89 Billionen Euro (5,4 % mehr als 2014). [5] Von den insgesamt 7,39 Mrd. Menschen gehörten somit nur 0,00003 Prozent der Weltbevölkerung zu den Superreichen mit einem Vermögen von mindestens einer Milliarde. Zum Vergleich: Das Vermögen dieser 0,00003 Prozent entsprach dem Bruttoinlandsprodukt von Deutschland, Frankreich und Italien. Zusammen, nicht einzeln! [6]

Vielleicht hätten wir weniger Probleme, wenn das Vermögen gerechter verteilt wäre. Die, die kaum Vermögen besitzen, haben Nachholbedarf beim Konsum und würden das Geld gewiss freudig ausgeben (anstatt es auf den Bankkonten zu horten), was wiederum die Wirtschaft beleben könnte. Die deutsche Wirtschaft hätte es bitter nötig, da der Zuwachs des realen Bruttoinlandsprodukts in den vergangenen Jahren recht mager ausfiel (2012: +0,5 %, 2013: +0,5 %, 2014: +1,6 %, 2015: +1,7 %). [7] Schade, dass die Politik zwar über das Problem der Vermögensungleichheit redet, aber faktisch nichts zu seiner Beseitigung unternimmt. Es zeichnet sich ja bereits ab, dass dies fatale politische Folgen nach sich ziehen wird. Stichwort: Rechtspopulismus. Die Untätigkeit der Politik ist vor diesem Hintergrund umso unverständlicher. Will man warten, bis es zu spät ist?

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[1] Süddeutsche vom 11.08.2016
[2] Statistisches Bundesamt, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Arbeitsunterlage Investitionen, 1. Vierteljahr 2016, PDF-Datei mit 455 kb,
Zur Erläuterung: Bruttoanlageinvestitionen = Ausrüstungen (Maschinen und Geräte einschl. militärischer Waffensysteme), Bauten (Wohnbauten, Nichtwohnbauten) und sonstigen Anlagen (größtenteils bestehend aus Forschung und Entwicklung, Software und Datenbanken) minus Abschreibungen = Nettoanlageinvestitionen
[3] Deutsche Bundesbank, Geldvermögen und Verbindlichkeiten (unkonsolidiert), PDF-Datei mit 59 kb
[4] Deutsche Bundesbank, Monatsbericht März 2016, PDF-Datei mit 247 kb
[5] Schweriner Volkszeitung vom 12.08.2016
[6] BIP Deutschland 2015: 3.032.820,0 Mio. Euro, BIP Frankreich 2015: 2.181.064,0 Mio. Euro, BIP Italien 2015: 1.636.371,7 Mio. Euro = 6,85 Bio. Euro, Eurostat, Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen
[7] Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 279 vom 12.08.2016