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31. August 2016, von Michael Schöfer
Hoffentlich muss Apple die Hosen herunterlassen


"Die Proletarier haben nichts zu verlieren als ihre Ketten" war im Kommunistischen Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels (1847/1848) zu lesen. Die Autoren vertraten darin den Standpunkt, die Arbeiter hätten über die Grenzen ihrer jeweiligen Nation hinweg gleichgerichtete Interessen. "Die Arbeiter haben kein Vaterland", hieß es apodiktisch. Es gebe also keine deutsche, englische oder amerikanische Arbeiterschaft, sondern ausschließlich international gesinnte Proletarier. Das hat sich schnell als unzutreffend herausgestellt, die Proletarier standen sich nämlich kurz danach auf den Schlachtfeldern Europas gegenüber - als Feinde, nicht als Brüder.

Heute müssen wir allerdings feststellen, dass Unternehmen kein Vaterland mehr haben. Es gibt nur noch pro forma deutsche, englische oder amerikanische Unternehmen, denn die multinationalen Konzerne haben nur noch ein einziges Interesse: den Profit. Anstatt einer länderübergreifenden Klasse der Proletarier, hat sich eine länderübergreifende Klasse der Unternehmen etabliert, geführt von einer global agierenden Manager-Riege. Fast hätte ich das böse Wort von den "vaterlandslosen Gesellen" in den Mund genommen (doch im Grunde trifft diese Formulierung den Sachverhalt haargenau auf den Kopf).

Jedem Arbeitnehmer treibt es die Tränen in die Augen, wenn er liest, dass 2014 die effektive Steuerbelastung von Apple in Irland lächerliche 0,005 Prozent betrug. Aber es sind keine Tränen der Freude, die da fließen. "Für jede Milliarde Euro Gewinn hat Apple in Irland nur 50.000 Euro Steuern gezahlt." [1] Laut Apple natürlich ein völlig unberechtigter Vorwurf. 0,005 Prozent sei "eine komplett aus der Luft gegriffene Zahl", kritisiert Apple-Finanzchef Luca Maestri den Vorwurf der EU-Kommission. "Apple sei inzwischen nicht nur der größte Steuerzahler in Irland, sondern auch in den USA sowie auf der ganzen Welt", verteidigt sich Apple-Chef Tim Cook. [2]

Sehen wir uns die öffentlich zugänglichen Fakten an: Nach Angaben von Statista hat Apple 2014 außerhalb der USA 1,49 Mrd. US-Dollar Steuern gezahlt. [3] Dort findet man auch Angaben über den Auslands-Anteil beim Umsatz. [4] Bei "iphone-fan.de" wiederum bekommt man die Quartalszahlen von Apple (weltweiter Umsatz). [5]


Nicht-USA-Anteil
am Umsatz (in %)
Umsatz weltweit
(Mrd. US-$)
Nicht-USA-Anteil am Umsatz (in Mrd. US-$)
1. Quartal 2014 63 % 57,59 36,28
2. Quartal 2014 66 % 45,65 30,13
3. Quartal 2014 59 % 37,43 22,08
4. Quartal 2014 60 % 42,12 25,72


= 182,79 = 114,21

Falls diese Zahlen korrekt sind, hatte Apple 2014 außerhalb der USA eine Steuerquote von lächerlichen 1,3 Prozent vom Umsatz (1,49 Mrd. von 114,21 Mrd. US-Dollar). Hinweis: Normalerweise misst man die Steuerquote am Gewinn, doch Daten über die regionale Verteilung der Gewinne von Apple habe ich leider keine gefunden. Genau darum, um den Verschiebebahnhof bei den Gewinnen, kreisen ja diese Steuersparmodelle. Den Daten ist zu entnehmen, dass der Gewinn von Apple beachtliche 21,6 Prozent des Umsatzes erreichte (39,44 von 182,79 Mrd. US-$). Wo und wie dieser konkret versteuert wurde, ist indes vollkommen intransparent. Apple selbst gibt in seinem Jahresbericht 2014 einen effektiven Steuersatz in Höhe von 26,1 Prozent an. Detaillierte Angaben? Fehlanzeige!

Ob das Unternehmen, immerhin das reichste der Welt, wirklich - wie von Tim Cook behauptet - der größte Steuerzahler auf der ganzen Welt ist, mag man glauben, muss es aber nicht. In der Vergangenheit beruhte das Geschäftsmodell von Apple jedenfalls darauf, weder in den USA noch im Ausland hohe Steuerzahlungen zu leisten. Dazu wurden eigens Gewinne ins Ausland verlagert, und die gezielte Ausnutzung von Steuerlücken verhinderte auch dort eine angemessene Besteuerung. Dreh- und Angelpunkt in dieser Strategie war Irland. Apple ist im Übrigen kein Einzelfall, diese Praxis ist weitverbreitet.

Die von der EU-Kommission monierten 0,005 Prozent brauchen gar nicht hundertprozentig zuzutreffen, um im Gegensatz dazu jeden Arbeitnehmer blass aussehen zu lassen. Im ersten Quartal 2016 verdiente man hierzulande im Produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich im Durchschnitt 3.876 Euro. [6] Ein Lediger ohne Kinder, Steuerfreibeträge und KV-Zusatzbeitrag bekommt davon laut dem Gehaltsrechner der Süddeutschen Zeitung 702,58 Euro Lohnsteuer abgezogen, das ist eine Steuerbelastung von 18,1 Prozent. Würden Arbeitnehmer wie Apple nur mit 0,005 Prozent besteuert, müsste der Durchschnittsverdiener gerade mal 19 Cent entrichten. Ersparnis: 702,39 Euro. Die Beschäftigten würden jubeln und die Finanzminister bestimmt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, denn wovon sollten sie dann Investitionen tätigen, Armee, Feuerwehr und Polizei unterhalten, Lehrer und Kindergärtnerinnen bezahlen?

Ob Apples Mini-Steuer wirklich legal ist, werden am Ende die Gerichte entscheiden. Nach allem, was man so liest, scheinen aber die Steuergesetze kreative Steuersparmodelle zu erlauben. Den multinationalen Konzernen, nicht den Malochern am Band, versteht sich. Vielleicht nicht unbedingt in dem von der EU-Kommission monierten Ausmaß, aber wenigstens ungefähr in dieser Größenordnung. Unter Umständen erfahren wir im Laufe der Verhandlung Näheres über die regionale Verteilung der Gewinne und Steuerzahlungen, dann können wir uns ein genaueres Bild von Apple machen. Ob Cooks Aussage ("In Irland wie auch in jedem anderen Land, in dem wir operieren, folgt Apple den Gesetzen und bezahlt sämtliche fällige Steuern") tatsächlich stimmt, wird man hoffentlich bald sehen.

Der Konzern aus Cupertino/Kalifornien sitzt auf riesigen Bargeldreserven in Höhe von rund 216 Mrd. US-Dollar, aus Steuergründen natürlich überwiegend im Ausland angelegt (andere Quellen sprechen sogar von 233 Mrd., davon 208 Mrd. auf Offshore-Konten im Ausland). [7] Kurios: Der iPhone-Hersteller nimmt in den USA lieber Schulden auf, anstatt seine üppigen Bargeldreserven anzuzapfen, weil deren Transfer in die USA eine Steuerbelastung von 35 Prozent mit sich bringen würde. Aus der Sicht von Apple rational absolut verständlich, aber aus der Sicht des Staates (die USA sind bekanntlich der größte Schuldner der Welt) verheerend. Doch wie eingangs erwähnt, Apple ist nur noch nominell ein amerikanisches Unternehmen. Oskar Lafontaine (Linke) hat es vor Jahren auf den Punkt gebracht: "Die Unternehmer lieben kein Land, sie lieben nur den Gewinn." [8] Und an Letzterem herrscht bei Apple gewiss kein Mangel.

Verlorenes Brexit-Referendum in Großbritannien, Vormarsch der Rechtspopulisten in Europa, möglicherweise demnächst Donald Trump im Weißen Haus - warum wundern wir uns eigentlich noch darüber? Wenn selbst im reichsten Land der EU eine erschreckende Kinderarmut herrscht, braucht man sich über solche besorgniserregenden Tendenzen wirklich nicht zu wundern. In Deutschland waren 2014 nach Zahlen des Europäischen Statistikamts Eurostat 2,27 Mio. Kinder von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, das ist ein Anteil von 19,3 Prozent. In anderen Mitgliedstaaten ist die Armut noch wesentlich größer. "Mehr als jedes vierte Kind in Europa unter 16 Jahren ist von Armut bedroht. 22,85 Millionen oder 27,4 Prozent der Kinder wuchsen 2014 in benachteiligenden sozialen Verhältnissen heran." [9] An allen Ecken und Enden fehlt Geld, etwa für die Ausstattung von Schulen oder Universitäten. Geld ist paradoxerweise genug vorhanden, es verschwindet bloß in den Taschen der Vermögenden. Ich wundere mich angesichts dessen über gar nichts mehr.

Die überteuerten Produkte von Apple sind zweifellos toll, aber mit so einer Steuermoral geht die Gesellschaft vor die Hunde. Es wäre schön, wenn die Unternehmen nicht nur über gesellschaftliche Verantwortung reden, sondern auch entsprechend handeln würden. Und nicht alles, was von der Gesetzgebung her legal ist, ist unter moralischen Gesichtspunkten auch legitim. Der im Widerstreit mit dem allgemeinen Interesse liegende Egoismus ist unser allergrößtes Problem. Meiner Meinung nach ein viel größeres als der Terrorismus.

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[1] Süddeutsche vom 30.08.2016
[2] Heise-online vom 30.08.2016
[3] Statista, Infografik Apples Steuerzahlungen im Ausland
[4] Statista, Nicht-US-Anteil am Umsatz von Apple vom 1. Geschäftsquartal 2006 bis zum 3. Geschäftsquartal 2016
[5] iphone-fan.de vom 27.07.2016
[6] Statista, Durchschnittlicher Bruttomonatsverdienst (mit Sonderzahlungen) vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer nach Wirtschaftsbereichen im 1. Quartal 2016
[7] Süddeutsche vom 17.02.2016 und Meedia vom 23.05.2016
[8] zitiert nach: Reimar Unterlöhner, Fair zur Gesellschaft: Macht und Eigentum verpflichten, Seite 120
[9] Die Zeit-Online vom 02.08.2016