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03. September 2016, von Michael Schöfer
Ach, das hätte ich jetzt nicht gedacht


Die Partnersuche gehört ja bekanntlich zu den schwierigsten Dingen überhaupt. Schwieriger jedenfalls als so manches Primzahlen-Rätsel. Das Hauptproblem dabei, zumal im fortgeschrittenen Alter, sind die Illusionen. Ich musste einmal mit einem Kollegen im Auto an der Ampel warten, von rechts ging eine schlanke, hübsche Frau im Alter zwischen 25 und 30 Jahren über die Straße. Mein Kollege (damals so um die 60) war sichtlich angetan und schaute ihr sehnsüchtig nach. Von links lief gleichzeitig eine etwas weniger schlanke und demzufolge etwas weniger hübsche Frau im Alter von ca. 55 Jahren über die Straße, die hat er natürlich vollkommen ignoriert, obgleich sie wahrscheinlich viel besser zu ihm gepasst hätte. Zumindest äußerlich. Eben typisch Mann.

Man(n) soll sich nicht einbilden, schlanke Frauen im Studentinnenalter würden sich nach einem fast dreimal so alten Herrn mit Bierbauch sehnen. Wenn sich ältere Herren mit Bierbauch nach hübschen Studentinnen sehnen, heißt das noch lange nicht, dass es umgekehrt genauso ist. Die Sehnsucht dürfte in 99,9 Prozent der Fälle recht einseitig ausfallen. Vom Optischen abgesehen einfach mal kurz nachrechnen, das ernüchtert ungemein: Wenn die 25 sind und du 60, bist du 95, wenn die so alt sind wie du heute. Würdest du etwas mit einer 95-Jährigen anfangen? Na, siehst du...

Dennoch scheinen sich viele Männer genau das einzubilden. In den USA hat ein Forscherteam der University of Michigan die Partnerwahl von Mitgliedern einer "dezidiert heiratsorientierten Online-Partnerbörse" analysiert. Surprise, surprise: "Entscheidend seien Alter, Größe und Gewicht." [1] Liebe Leserinnen und Leser, hätten Sie das geahnt? Und, alle Männer im fortgeschrittenen Alter bitte aufgepasst, es folgt der dezente Hinweis: "Womöglich bekommen die übergewichtigen, alten Männer nicht die jungen, schlanken Frauen, die sie sich wünschen." Drastischer formuliert: Vergesst es, bei denen habt ihr null Chancen! Ach, das hätte ich jetzt nicht gedacht, welch originelle Erkenntnis.

Angeblich wird man(n) im Alter realistischer, etwa im Beruf (da gehört man inzwischen zum altem Eisen), im Sport (da gehört man inzwischen erst recht zum alten Eisen), beim Essen (neuerdings reicht auch der Seniorenteller) oder beim Fernsehen (komisch: je älter man wird, desto mehr Wiederholungen senden die). Bloß bei der Partnersuche will das nicht funktionieren. Da geben gestandene Großväter nach wie vor den ewig jungen Don Juan, obwohl sie längst das Hüftgelenk plagt. Anders ausgedrückt: Die alten Gockel sind dem Suppenhuhn näher als den jungen Hühnern (für Veganer: dem jungen Gemüse). Nun ja, Illusionen sind zum Glück nicht verboten. Und wem sie gut tun, der soll sich halt welche machen. Immerhin: Anschauen ist erlaubt - zumindest solange die Augen noch mitmachen. Die werden aber, Gott sei's geklagt, mit dem Alter leider ebenfalls schlechter.

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[1] Süddeutsche vom 03.09.2016