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08. September 2016, von Michael Schöfer
AfD profitiert trotz dürrem Programm von der Wählergunst


AfD - wie kann man diese Partei überhaupt wählen? Es ist mir ein Rätsel. 2014 ist sie ins Europaparlament gewählt worden, noch im gleichen Jahr zog sie in die Landtage von Sachsen, Brandenburg und Thüringen ein. Mittlerweile ist die AfD in neun Landtagen vertreten, und am 18. September 2016 dürfte sie in Berlin ebenfalls erfolgreich sein. Doch mit was, außer mit dämlichen Provokationen und internem Streit, ist sie denn bislang aufgefallen? Mit welchen konstruktiven Vorschlägen hat sie in den Parlamenten geglänzt? Mir fällt da ehrlich gesagt nichts ein. Die AfD macht auf mich vielmehr - ungeachtet ihrer Erfolge an den Wahlurnen - den Eindruck, politikunfähig zu sein.

Insbesondere der Wahlerfolg in Mecklenburg-Vorpommern ist aberwitzig. Ende 2015 gab es unter den 1,6 Mio. Einwohnern des Landes gerade mal 65.000 Ausländer (= 4,0 %), davon kamen sogar 22.000 aus den EU-Staaten. Ganze 3.496 Ausländer kamen aus Afrika, 13.520 aus Syrien, 2.232 aus Afghanistan, 566 aus dem Irak und 540 aus dem Iran. Die "muslimische Invasion" des Bundeslandes machten die 83 Jeminiten komplett. [1] In Worten: Dreiundachtzig! Von den 2015 im gesamten Bundesgebiet per Saldo zugezogenen 1,4 Mio. Ausländern entfielen lediglich 18.000 auf Mecklenburg-Vorpommern. [2] Kurzum, die Angst vor Ausländern im Allgemeinen und vor Muslimen im Besonderen ist vollkommen unbegründet. Gerade dort. Dennoch hat eine Partei die Wahl gewonnen, die vor allem mit der Angst vor Ausländern Wahlkampf gemacht hat. Rational erschließt sich das einem nicht.

Wenn man sich das Landtagswahlprogramm der AfD ansieht, wird der Wahlerfolg noch unverständlicher. Ich habe mal die Lyrik weggelassen und mich ganz auf Programmpunkte konzentriert, die finanzielle Folgen auf den Landeshaushalt haben (ohne Anspruch auf Vollständigkeit, hoffentlich habe ich nichts Wesentliches übersehen). [3]

 führt zu Mehrausgaben
 führt zu Einsparungen
 sowohl als auch, je nachdem
Familiendarlehen auflegen, d.h. junge Familien bekommen nach der Geburt des ersten Kindes einen zinsgünstigen Kredit (Seite 3) die Bundespolizei soll die gesamte Wasserschutzpolizei einschließlich der Hubschrauberstaffel, die Bereitschaftspolizei und die Autobahnreviere vom Land übernehmen und weiterbetreiben (Seite 8)
staatliche Zahlungen für Kita-Plätze über landesweit einheitliche Gebührenpauschalen, die den Grundbedarf der Träger decken, alles darüber hinaus müssen die Kitas selbst erwirtschaften (Seite 3)
verlängertes Elterngeld, anstatt 12 Monate 18 Monate (Seite 3) Lizenzkosten bei Neuanschaffungen in den Behörden durch die Verwendung von quelloffener Software deutlich reduzieren (Seite 9)
ständige Erhöhung von Grundsteuer, Wasser- und Energiepreisen beenden (Seite 10)
Einstellung einer angemessenen Zahl an gut qualifizierten Kindererziehern (Seite 3) Offenlegung der Gehälter der Geschäftsführer von Wohlfahrtsverbänden und Sozialunternehmen (Seite 10)
Fördermittel auch über öffentliche Beteiligungen im Sinne von Wagniskapital vergeben (Seite 15)

nach der Geburt weiterer Kinder sind während der Elternzeit für die älteren Geschwister Ganztags-Krippen- und Kindergartenplätze zur Verfügung zu stellen (Seite 4) Übernahme aller im Zusammenhang mit Asylbewerbern anfallenden Kosten durch den Bund, schnelle Rückführung abgelehnter Asylbewerber, Asylanträge durch diverse Maßnahmen verringern, keine Unterstützung mehr aus den Sozialkassen für Ausreisepflichtige, Beschränkung der Leistungen für Zuwanderer, Sozialgesetze des Herkunftslandes anwenden (Seiten 11 - 13)
Kompetenzen und Kontrollrechte des Landesrechnungshofes stärken (Seite 18)
staatliche Leistungen für selbständige Tagesmütter angemessen erhöhen (Seite 4) Wirtschaftsförderung auf wirkliche Innovationen konzentrieren (Seite 15)
Einkommen- und Körperschaftsteuersätze sollen die Länder selbst festlegen (Seite 18)
Familiensplitting auf Bundesebene = Entlastung der Familien (Seite 4) Unternehmen müssen beim Empfang von Fördermitteln und Förderkrediten Erfüllungsbürgschaften oder andere geeignete Sicherheiten hinterlegen (Seite 15)

Sozialbeiträge nur auf das Einkommen berechnen, bei dem die Kinderversorgungskosten schon abgezogen sind (Seite 4) Konsum- und Verwaltungsausgaben zurückfahren (Seite 18)

Eltern bei der Rente deutlich besserstellen (Seite 4) deutliche Verkleinerung des Landesparlaments von 71 auf 51 Abgeordnete (Seite 18)

das Land soll Sozialbeiträge für pflegende Familienmitglieder übernehmen (Seite 4) Verschwendung von Steuergeldern verhindern, Straftatbestand der Haushaltsuntreue einführen (Seite 18)

Einstellung von mehr Lehrern (Seite 6) Maßvolle Kürzungen bei Theatern (Seite 21)
die Beförderung soll für alle Schüler staatlicher und privater Schulen kostenlos erfolgen (Seite 6)

Fahrten zur Berufsschule und den Kauf von Lernmitteln für Azubis fördern (Seite 7)

mehr Lehrpersonal sowie eine feste und langfristige Finanzierung für die Universitäten (Seite 7)

Stopp des Personalabbaus bei der Polizei, Ausstattung der Landespolizei verbessern (Seite 8)

Kooperation von Sicherheitsbehörden, Landkreisen, Kommunen und Mitgliedern der Präventionsräte finanziell absichern (Seite 8)

Grundbetrag für eine landesweit einheitliche Aufwandsentschädigung bei den Freiwilligen Feuerwehren festsetzen und vom Land mitzufinanzieren (Seite 9)

flächendeckende Schließung von Gerichten wird abgelehnt (Seite 9)

bessere Infrastruktur für den ländlichen Raum (Seite 10)

Gesundheitssystem verbessern, Ausbau der 24h-Notfallversorgung (Seite 11)


Aufforstung von Wäldern (Seite 11)

Einhaltung der landwirtschaftlichen Standards strenger überwachen, Behörden und Veterinärämter fachlich und finanziell stärken (Seite 17)

Investitionen in Familien, Bildung und Wissenschaft, in Infrastruktur und Sicherheit erhöhen (Seite 18)

Abschaffung des Solidaritätszuschlags (Seite 18)

Höhe des Steuerfreibetrages und der Steuerstufen an die Inflationsrate koppeln (Seite 18)

Gewerbesteuer abschaffen, zur Finanzierung sollen die Kommunen einen höheren Umsatzsteueranteil vom Bund erhalten (Seite 18)

Unterstützung von Kultur- und Traditionsvereinen (Seite 21)

finanzielle Unterstützung des Denkmalschutzes (Seite 21)


Ich behaupte nicht pauschal, dass alle Forderungen der AfD unsinnig sind. Darunter sind einige, denen man durchaus zustimmen könnte. Aber die finanziellen Mehrausgaben dürften die Einsparungen deutlich übersteigen, zumal diese auch noch teilweise von Entscheidungen auf Bundesebene abhängig oder recht diffus sind. Jedes Programm muss sich freilich an der Realität messen lassen. Und auch die AfD wird kaum daran vorbeikommen, dass eins plus eins zwei ergibt. Anders ausgedrückt: Sie wird entweder die Schulden in die Höhe treiben, die Bürger mit Steuererhöhungen belasten oder eben auf viele ihrer Vorschläge verzichten müssen. Insgesamt scheint mir das Programm daher unausgegoren zu sein, es dürfte einen seriösen Realitätscheck kaum überstehen. Zugegeben, junge Parteien müssen sich erst noch finden, und das kann dauern. Aber dass die AfD auf dieser dünnen Basis gleich zur zweitstärksten Partei gewählt wurde, ist in meinen Augen bedenklich. Entscheidend waren offenkundig nicht die programmatischen Forderungen, von denen die Wählerinnen und Wähler vermutlich ohnehin wenig wissen, sondern das fremdenfeindliche Image der Rechtspopulisten. Würde die AfD je mitregieren, käme es bei vielen Anhängern wohl zu einem bösen Erwachen.

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[1] Statistisches Amt Mecklenburg-Vorpommern, Ausländische Bevölkerung (Ausländerzentralregister) 2015, PDF-Datei mit 95 kb
[2] Statistisches Amt Mecklenburg-Vorpommern, Pressemeldung Nr. 10/2016 vom 21.03.2016

[3] AfD Mecklenburg-Vorpommern, Landtagswahlprogramm 2016, PDF-Datei mit 702 kb