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29. September 2016, von Michael Schöfer
So eine Regierung verliert jegliche Legitimität


Der syrische Bürgerkrieg ist ein schier unentwirrbares Knäuel, weil so viele Beteiligte mit ihren divergierenden Interessen mitmischen: Die syrische Regierung, die heterogene syrische Opposition, Al-Qaida, der Islamische Staat, der Iran, die Hisbollah, die Kurden, Russland, die USA und ihre Verbündeten, die Türkei, Saudi-Arabien und Katar. Es geht, so der Vorwurf, um die Vorherrschaft im Nahen Osten, um das übliche geostrategische Spiel. Manche behaupten, die Vereinigten Staaten hätten bereits lange vor Ausbruch des Bürgerkrieges geplant, das Regime von Baschar al-Assad zu stürzen, zu diesem Zweck hätten sie seit 2005 die syrische Opposition finanziell unterstützt. Nicht abwegig, vor allem wenn man berücksichtigt, dass damals ein gewisser George W. Bush im Oval Office saß. Ihm, seinem Vize Dick Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld war wirklich jede Schandtat zuzutrauen. Skrupel hatten diese Herren jedenfalls keine, wie man weiß.

Aber der entscheidende Funke, der das Land explodieren ließ, kam letztlich von der syrischen Regierung selbst. Im Zuge des Arabischen Frühlings kam es auch in Syrien zu Demonstrationen gegen die Regierung, die das Regime allerdings wie üblich blutig beendete. In Daara wurden mehrere Kinder, denen man vorwarf, Parolen gegen Baschar al-Assad an die Wand gesprüht zu haben, verhaftet und brutal gefoltert. Der 13-jährige Hamza Ali Al-Khateeb wurde dabei sogar zu Tode gefoltert: "Statt zu schweigen, veröffentlicht die Familie des 13-jährigen Hamza Ali al-Khatib ein Video, das die Folterspuren zeigt: Hämatome, Brandwunden, zertrümmerte Kniescheiben, gebrochener Kiefer, abgeschnittene Genitalien. Spätestens jetzt weiß jeder: mit diesem Regime ist nicht zu verhandeln." [1] Der 15-jährige Bashir Abazed wird 33 Tage lang verhört. "Es setzt Schläge. Bevor er geschlagen wird, reißen ihm die Wärter die Kleider vom Leib. Gießen Eimer mit kaltem Wasser über ihn, fesseln seine Hände auf dem Rücken. 'Sie haben mich in einen Traktorreifen gezwängt. Füße und Kopf nach vorne. Dann haben sie den Reifen durch den Raum gerollt. Sie haben Klammern an meinen Fingern und Zehen befestigt. Dann haben sie Elektroschocks durchgejagt. Und mich mit den Kabeln ausgepeitscht.'" [2] Der 10-jährige Abdulrahman al-Krad wird ebenfalls gefoltert, teilweise im Beisein seines Vaters. Sie schlugen den Schüler mit einem Kabel bewusstlos und hängten ihn mit Handschellen an einem Balken an der Decke auf. [3] Die anschließenden Demonstrationen lässt Assad zusammenschießen.

Alles Propaganda, eine billige Räuberpistole zur Rechtfertigung des ohnehin bereits geplanten Regimewechsels? Keineswegs, denn Menschenrechtsorganisationen werfen der syrischen Regierung seit langem systematische Folter und die Tötung von Demonstranten vor. "Seit 2011 sind dort Schätzungen zufolge 17.723 Menschen durch Folter, Misshandlungen und katastrophale Haftbedingungen ums Leben gekommen. In Syrien laufen vermeintliche Oppositionelle Gefahr, jederzeit von syrischen Sicherheitskräften festgenommen und gefoltert zu werden. Amnesty wertet diese systematischen und weit verbreiteten Übergriffe auf Zivilisten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit." [4] Vorwürfe, die auch durch Recherchen von Human Rights Watch bestätigt werden. Ein Fotograf kann 53.275 Fotos von Folteropfern aus dem Land herausschmuggeln. Folter hat in Syrien Tradition.

Kann sich eine Regierung, die ihr Volk zusammenschießen, bombardieren und bestialisch foltern lässt noch auf die Staatensouveränität berufen? Kann sich Russland, das von so einer Regierung zu Hilfe gerufen wird, bei seinem militärischen Engagement wirklich aufs Völkerrecht berufen? Meiner Meinung nach nicht. Eine Regierung, die so handelt, verliert jegliche Legitimität. Kein Präsident ist berechtigt, sein Volk zu töten. Andererseits muss man konstatieren, dass sich der Westen in einem Dilemma befindet. Die demokratische Opposition Syriens, so sie es denn überhaupt jemals in nennenswertem Umfang gab, ist nahezu machtlos. Diejenigen, die gegen Baschar al-Assad kämpfen, kommen zumeist aus dem Dunstkreis der Islamisten oder sind selbst welche. Das Regime zu stürzen ist eine Sache, was ihm nachfolgen soll die andere. Aus heutiger Sicht ist weder das eine noch das andere wirklich wünschenswert. Manche Beobachter halten es deshalb für durchaus realistisch, dass ein auf Sparflamme weiterköchelnder Bürgerkrieg den globalen Interessen der USA gegenwärtig am meisten dient. Trotz der schlimmen Bilder, die jeden Abend in den Nachrichten zu sehen sind. Vor allem dann, wenn sich Russland, ähnlich wie seinerzeit in Afghanistan, heillos in den Konflikt verstrickt. Denn in einen Konflikt hineinkommen, ist verhältnismäßig einfach. Die hohe Kunst der Politik ist, sich daraus wieder wohlbehalten zu lösen. Erfahrungsgemäß gelingt das äußerst selten.

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[1] Die Zeit-Online vom 17.03.2015
[2] Die Welt-Online vom 01.09.2013
[3] Süddeutsche vom 11.03.2016 (der vollständige Artikel ist kostenpflichtig)
[4] Amnesty International vom 18.08.2016