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| Impressum 02. Oktober 2016, von Michael Schöfer Intervention in Syrien ist nur etwas für Hasardeure Wer nüchtern das Für und Wider abwägt, hat oft schlechte Karten. In der Politik gewinnt nicht selten der die Oberhand, der die Emotionen anzufachen versteht, selbst wenn das Ergebnis am Ende der Vernunft widerspricht. Auch in den Medien wird viel mit Emotionen gearbeitet. Beispiel Syrien: "Die Welt hat Syrien längst vergessen", titelt etwa die Tagesschau. "Die Welt schaut zu - und tut nichts," zitiert sie einen syrischen Flüchtling in Jordanien. [1] Und auf allen Bildern dieses Artikels sind Kinder zu sehen. Wenn Kinder ins Spiel kommen, namentlich als Kriegsopfer, wird es besonders emotional. Das ist verständlich, sollte uns freilich nicht dazu verführen, die Ratio auszuschalten. Natürlich packt einen die Wut, wenn man allabendlich via Tagesschau die Bombardements in Aleppo frei Haus geliefert bekommt. Dann denkt man womöglich: "Warum schlagen wir nicht dazwischen?" Doch erstens könnten das wohl bloß die USA, weil nur sie über das Potenzial für eine umfassende militärische Intervention besitzen. Aber spätestens seit dem Irakkrieg von 2003 wissen selbst die Amerikaner, dass es mit Luftangriffen oder gar mit einer Bodenoffensive allein nicht getan ist. Syrien ist (im übertragenen Sinne) ein Sumpf, und wer sich da hineinbegibt, könnte darin versinken. Zweitens ist derzeit kein Land bereit, den Preis für eine militärische Intervention zu zahlen. Es geht nicht ums Geld, sondern um Menschenleben. Obgleich bei der Offensive der "Koalition der Willigen" im Irak bis zum offiziellen Ende der Kampfhandlungen am 1. Mai 2003 auf Seiten der Verbündeten "nur" 171 Soldaten ihr Leben verloren (138 Amerikaner, 33 Briten), die Invasion demzufolge geradezu ein Spaziergang war, hat der Waffengang anschließend noch viel mehr Opfer gekostet. Bis zum 29. Februar 2012 sind dort 4.804 Soldaten getötet worden (4.486 Amerikaner, 179 Briten, 139 Soldaten anderer Nationen), mehr als 32.000 wurden verwundet. Von den viel höheren Opfern auf irakischer Seite (Zivilisten und Soldaten) ganz zu schweigen, diesbezüglich gibt es jedoch nur grobe Schätzungen (die Zahlen schwanken je nach Quelle zwischen weniger als 100.000 und mehr als 1 Mio. Menschen). [2] Drittens hat Baschar al-Assad bekanntlich die Russen zu Hilfe gerufen, die dort mit eigenen Kampfjets und Bodensoldaten operieren. Eine wie auch immer geartete direkte Intervention seitens des Westens könnte, falls sie gegen den Willen von Russland durchgesetzt wird, einen noch viel größeren Flächenbrand entfachen. In diesem Fall müsste man nämlich die russischen Flugzeuge und die zu ihrem Schutz stationierte Luftabwehr angreifen. Etwas, das leicht außer Kontrolle geraten und unter Umständen sogar einen Dritten Weltkrieg entfachen könnte, von dem wir dann in Europa unmittelbar betroffen wären. Syrien ist keineswegs vergessen, was einem angesichts der Fernsehbilder auch schwerfallen dürfte, aber es verursacht bei uns eher ein Gefühl von Hilflosigkeit. Wer "Die Welt schaut zu - und tut nichts" ruft, sollte offen und ehrlich sagen, was das "Nicht-mehr-zusehen-wollen" konkret kostet. Emotional sagt es sich natürlich leicht: "Jetzt ziehen wir im Mittelmeer drei oder vier Flugzeugträger zusammen und dann zeigen wir Baschar al-Assad mal, was eine Harke ist." Doch die Zeit dieser Form von Kanonenbootpolitik neigt sich allmählich ihrem Ende zu, militärische und politische Konflikte sind heute wesentlich komplexer und dementsprechend viel schwerer zu lösen. Davon abgesehen ist auch die Rolle der USA als Weltpolizist vorbei, die westliche Führungsmacht zeigt, obgleich militärisch nach wie vor jedem potenziellen Gegner um ein Vielfaches überlegen, deutliche Anzeichen imperialer Überdehnung. Amerika ist die Bereitschaft, weiterhin global für Ordnung sorgen und die Pax Americana durchsetzen zu wollen, abhanden gekommen. Die Ermüdung des amerikanischen Volkes ist förmlich mit den Händen zu greifen und angesichts der zahlreichen Kriege der Vergangenheit mit ihren teilweise verheerenden Ergebnissen auch verständlich. Was ist die Alternative? Schwer zu sagen, man kann durch die Unterstützung von bestimmten Oppositionsgruppen vielleicht den Sieg Assads verhindern. Aber ob das auch dazu ausreicht ihn zu besiegen, ist mehr als fraglich. Das ginge entweder nur im Einvernehmen mit Russland oder eben durch eine massive militärische Intervention. Doch Letzteres will aus den oben genannten Gründen keiner. Zumindest keiner, der noch alle Tassen im Schrank hat. So ein Vabanquespiel wäre vom Naturell her höchstens Donald Trump zuzutrauen, was aber die Wähler am 8. November hoffentlich zu verhindern wissen. Der republikanische Präsidentschaftskandidat hegt im Übrigen unstreitig gewisse Sympathien für Putin, außerdem will er Amerika in den Isolationismus zurückführen. Was er im Falle seiner Wahl tun würde, ist also höchst ungewiss. Verhandeln mit Putin? Nach meinem bisherigen Eindruck ist der russische Präsident nur zum Schein verhandlungsbereit und hat deshalb die Hinhaltetaktik gewählt, währenddessen militärisch Fakten geschaffen werden sollen. Offenbar will er Assad unbedingt an der Macht halten. Die USA könnten austesten, wie weit er dafür wirklich zu gehen bereit ist, doch das ist wohl eher etwas für Hasardeure. Sind wir so risikobereit? Hoffentlich nicht, wenn wir nüchtern das Für und Wider abwägen. Wenn eine politische Lösung in weiter Ferne liegt, wenn es aber andererseits auch keine militärische gibt, bleibt uns - so hart das klingt - wohl nichts anderes übrig, als von außen weiterhin angewidert zuzuschauen. Denkbar wären zwar Sanktionen gegen Russland, die weit über das bereits jetzt wegen der Annexion der Krim und dem Krieg in der Ostukraine bestehende Ausmaß hinausgehen. Doch hört man hierzulande immer wieder Stimmen, gerade aus wirtschaftsnahen Kreisen, die die Sanktionen gerne aufheben würden. Wenn der Widerstand gegen die existierenden Sanktionen wächst, wird er gegen neue aller Voraussicht nach noch viel größer ausfallen. Motto: "Das Hemd ist mir näher als der Rock." Eine ziemlich erbärmliche Haltung. Wie auch immer, jedenfalls eine schlechte Nachricht für die Ukraine. Und eine noch schlechtere für das gebeutelte Syrien. ---------- [1] tagesschau.de vom 02.10.2016 [2] Wikipedia, Irakkrieg |