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28. März 2017, von Michael Schöfer
Dreistes Bubenstück


Netter Versuch der Linken und ihrer Sympathisanten, den Sozialdemokraten die Niederlage bei der Landtagswahl im Saarland in die Schuhe zu schieben. Besonders dreist ist der Vorwurf, wenn er aus einer Ecke kommt, die normalerweise anderen permanent Manipulation oder Meinungsmache vorwirft, zum Beispiel das unzulässige Uminterpretieren von Zahlen. Zudem neigt man dort dazu, andere gerne abzukanzeln, etwa indem man ihnen totale Ahnungslosigkeit unterstellt ("er hat offensichtlich noch nie über … nachgedacht", "er versteht offensichtlich nichts von…", "er hat offenbar nicht kapiert, worum es geht" etc.). Das wirkt nicht nur belehrend und arrogant, sondern ist auch menschlich niederträchtig. Obendrein ist diese ruppige Form der "Debattenkultur" dem Austausch von unterschiedlichen Meinungen wenig förderlich. Und dann wundert man sich auch noch, wenn die Wählerinnen und Wähler angesichts eines derart intoleranten Umgangs mit Andersdenkenden angewidert Abstand halten.

Oskar Lafontaine schreibt auf seiner Facebook-Seite: "Vor allem die SPD muss sich entscheiden. Die jetzige Wahlkampfstrategie, sich hinsichtlich des Koalitionspartners und des Programms nicht festzulegen, wird scheitern." [1] Linken-Chefin Katja Kipping sagt: "Wenn ein Mitte-links-Bündnis gelingen soll und die CDU nicht weiter an der Macht bleiben soll, wenn der Schulz-Zug nicht im Nirgendwo landen soll, dann braucht es klare Ansagen von allen Beteiligten." [2] Mit anderen Worten: Schuld am saarländischen Wahlergebnis habe allein die SPD. Hätte sie sich vorher klar und deutlich zu Rot-Rot oder zu Rot-Rot-Grün bekannt, hätte sie auch ein besseres Ergebnis eingefahren. Spitzenkandidatin Anke Rehlinger ließ freilich die Koalitionsfrage offen.

Der Vorwurf der Linken ist unzutreffend, weil er sich selbst beim besten Willen nicht aus den Zahlen des Wahlergebnisses herleiten lässt. Die SPD hat am vergangenen Wahlsonntag immerhin 10.671 Stimmen hinzugewonnen (in absoluten Zahlen ein Plus von 7,3 %), während die Linken 9.046 Stimmen und die Grünen 2.860 Stimmen verloren haben (in absoluten Zahlen ein Minus von 11,7 % bzw. 11,8 %). [3] Isoliert, d.h. ohne die CDU betrachtet, wären die Sozialdemokraten an der Saar der eindeutige Wahlgewinner. Dass sie jetzt in der Öffentlichkeit etwas belämmert dastehen und der Geruch der Niederlage an ihren Kleidern haftet, liegt einzig und allein am Erfolg der CDU. Die Partei von Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer hat nämlich noch viel mehr dazugewonnen, und zwar exakt 47.648 Stimmen (in absoluten Zahlen ein Plus von 28,1 %). Zweifellos haben die allzu hohen Erwartungen hinsichtlich des Schulz-Effekts zur jetzigen Sicht der Dinge beigetragen: Depression durch nicht bestätigte Euphorie.

Unglaublich: Eine Partei, die in absoluten Zahlen Stimmen gewinnt, bloß eben nicht so viele wie die Siegerin, soll angeblich die klare Wahlverliererin sein, während eine weitere, die fast in gleichem Umfang Stimmen einbüßt, sich mit stolzgeschwellter Brust "ein gutes Ergebnis" attestiert. Mit Verlaub, das ist doch Mumpitz! Nehmen wir einmal beispielhaft drei Personen: Die erste findet 100 Euro auf der Straße, die zweite findet 50 Euro und die dritte verliert aus ihrer Hosentasche 20 Euro. Muss sich die zweite Person grämen, weil sie "nur" 50 Euro gefunden hat, die erste dagegen doppelt so viel? Schließlich haben beide mehr als zuvor. Und darf sich die, die 20 Euro verloren hat, als eigentliche Gewinnerin fühlen? Wohl kaum! Der Verweis darauf, eine vierte Person hätte 50 Euro verloren, man sei also vergleichsweise gut weggekommen, ist wenig tröstlich. Man muss kein Freund der SPD im Allgemeinen und keiner von Martin Schulz im Speziellen sein, um die Lesart der Linken als unseriös zu bewerten.

Wahrheit muss Wahrheit bleiben. Es gab an der Saar sehr wohl einen "Schulz-Effekt", nur war er zum Leidwesen der Sozialdemokraten nicht so groß wie der "Kramp-Karrenbauer-Effekt". Einen "Lafontaine-Effekt" gab es nur insofern, als die Linke dort weniger verloren hat als andernorts. Doch das ist definitiv kein Grund, sie dafür auch noch zu feiern. Eine klare Niederlage in einen halben Sieg umzudeuten mag wohl die Hohe Schule der Propaganda darstellen. Nichtsdestotrotz ist diese Interpretation falsch, weil sie den Fakten (ein Plus von 10.671 steht einem Minus von 9.046 gegenüber) diametral widerspricht. Würden die Wählerinnen und Wähler Rot-Rot oder Rot-Rot-Grün wirklich goutieren, hätte die Linke dazugewinnen müssen. Die ausgebliebene Koalitionsaussage seitens der SPD wurde jedoch mit einem absoluten Stimmenzuwachs belohnt (obwohl relativ ein Minus von einem Prozentpunkt zu Buche schlägt). Wenn man es nüchtern betrachtet, stehen nicht die Sozialdemokraten ohne Kleider da, sondern vielmehr die Linken. Nur den Siegerkranz, den hat sich Kramp-Karrenbauer geangelt.

Es ist daher ein dreistes Bubenstück, die Schuld an der Niederlage allein der SPD in die Schuhe zu schieben. Die eingangs genannten Sympathisanten würden wahrscheinlich mit Schaum vor dem Mund von der "Manipulation des Monats" sprechen und mit schrillen Worten deren Urheber verteufeln. Demokratischer Diskurs sieht gemeinhin anders aus. Wer anderen ständig Unredlichkeit vorwirft, sollte selbst untadelig sein. Was Rot-Rot-Grün fehlt, ist die reale Machtperspektive. [4] Das ist allerdings nicht nur ein Problem der SPD.

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[1] Oskar Lafontaine vom 27.03.2017, Eine "Mehrheit diesseits der Union"?
[2] Der Standard vom 27.03.2017
[3] Die Landeswahlleiterin, Statistisches Amt Saarland, Vorläufiges amtliches Endergebnis der Landtagswahl 2017

[4] siehe Drohen uns österreichische Verhältnisse? vom 27.03.2017