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07. April 2017, von Michael Schöfer
Ein Spiel mit dem Feuer


Es ist ein zynisches Spiel, was uns da in Bezug auf Syrien präsentiert wird. Und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Einerseits sollte erst nach Beweisen dafür gesucht werden, wer für den mutmaßlichen Giftgasangriff auf die syrische Stadt Chan Scheichun verantwortlich ist. Andererseits ist es umso unverständlicher, wenn Russland sein Vetorecht im UN-Sicherheitsrat dazu benutzt, genau diese unerlässliche Aufklärungsarbeit zu verhindern. Wäre das Assad-Regime wirklich unschuldig, könnte es durch eine akribische Untersuchung eigentlich nur gewinnen, schließlich ist der Einsatz von Chemiewaffen ein Kriegsverbrechen. Stünden die Rebellen als Täter fest, hätten sie etwa das Ganze selbst inszeniert, um amerikanische Angriffe auf die syrischen Streitkräfte zu provozieren, entzöge ihnen das wohl mit einem Schlag jegliche Unterstützung.

Schon das Genfer Protokoll vom 17. Juni 1925 verbietet den Gebrauch chemischer Waffen, was später die Chemiewaffenkonvention vom 13. Januar 1993 bekräftigte. Der UN-Sicherheitsrat hat bereits in zurückliegender Zeit festgestellt, "dass der Einsatz chemischer Waffen, gleichviel wo er stattfindet, eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellt". [1] 2013 behinderte Russland jedoch die Aufklärung des Einsatzes von Giftgas in Syrien. UN-Waffenexperten durften zwar die Verwendung von Chemiewaffen vor Ort überprüfen, hatten allerdings kein Mandat, auch die Schuldfrage zu klären. Es ist in hohem Maße zynisch, stets auf das Fehlen von stichhaltigen Beweisen für die Schuld der syrischen Regierung hinzuweisen, aber gleichzeitig deren Sicherstellung zu konterkarieren. Vermutlich geht es dem Kreml nicht um die Wahrheit, sondern lediglich um billige Propaganda zur Täuschung der Weltöffentlichkeit.

Nach den Untersuchungsergebnissen der Vereinten Nationen ist 2013 in Syrien der Nervenkampfstoff Sarin eingesetzt worden, damals kamen etliche Hundert Menschen ums Leben (die genaue Zahl ist unbekannt, je nach Quelle soll es zwischen 281 und 1.729 Tote gegeben haben, einige Tausend wurden verletzt). Die Herstellung von Sarin ist alles andere als trivial: "Nervenkampfstoffe wie Sarin sind bereits in sehr kleinen Mengen tödlich. Angriffsfläche ist dabei der gesamte Körper, wobei die Aufnahme insbesondere über die Augen, Haut und Atmungsorgane erfolgt, letztere machen hierbei den Hauptanteil aus, da Sarin leicht flüchtig ist. Schutz gegen das Eindringen von Sarin in den Körper bietet daher nur ein Ganzkörper-Schutzanzug mit Atemschutzmaske." [2] Dass es wie die Sprengstoffe von Selbstmordattentätern gewissermaßen im Küchenlabor zusammengemixt wird, kann man ausschließen. Der Sicherheitsaufwand, um eine Eigengefährdung zu verhindern, ist enorm.

Die Herstellung durch staatliche Stellen hat also eine hohe Plausibilität, wenngleich auch die Produktion durch Terrorgruppen nicht völlig unmöglich ist. Bekanntermaßen hat die Aum-Sekte 1995 bei ihrem Attentat auf die U-Bahn von Tokio selbstfabriziertes Sarin verwendet. Und Gerüchten zufolge sollen der sogenannte Islamische Staat und die al-Nusra-Front im Besitz von Sarin sein, mehr als unbestätigte Pressemeldungen hat man aber bislang nicht gefunden. Umso wichtiger wäre, nicht nur festzustellen, dass Chemiewaffen verwendet wurden, sondern auch, wer sie eingesetzt hat.

Trotzdem ist der Angriff auf den syrischen Luftwaffenstützpunkt al-Schairat durch die amerikanische Regierung ein Spiel mit dem Feuer. Für die Schuld des syrischen Regimes gibt es noch keinen stichhaltigen Beweis, insofern stellt die Bombardierung ohne vorherige Autorisierung durch den UN-Sicherheitsrat einen Bruch des Völkerrechts dar. Es genügt eben nicht, sich emotional im Recht zu fühlen, vielmehr sollte man auch tatsächlich im Recht sein. Gerade die Missachtung des Völkerrechts hat doch in den vergangenen zwei Jahrzehnten massiv zur Zerrüttung des Verhältnisses der Staaten untereinander beigetragen. Worauf, wenn nicht auf das Recht, will man sich denn sonst berufen? Demokratien dürfen keinesfalls willkürlich handeln.

Außerdem muss US-Präsident Donald Trump seine außenpolitische Linie erst noch definieren. Im Wahlkampf hatte er verkündet, Amerika könne nicht mehr Weltpolizist sein und bei jedem Konflikt amerikanische Soldaten entsenden. Doch nun spielt er selbst den Weltpolizist - und das nach einer Amtszeit von noch nicht einmal drei Monaten. Eine ebenso bemerkenswerte wie vorauszusehende Entwicklung. Wie erratisch und prinzipienlos Trumps Sichtweise ist, zeigt seine Reaktion auf den mutmaßlichen Giftgasangriff auf Chan Scheichun, dadurch habe sich nämlich seine Ansicht zu Baschar al-Assad "sehr geändert". Ganz so, als habe der syrische Präsident nicht schon lange vorher durch Handlungen belegt, dass er ein skrupelloser Mörder und brutaler Folterer ist. Was sollte sich also am Urteil über ihn durch Chan Scheichun geändert haben? Wer sich ein bisschen mit internationaler Politik befasst, hat über Assad schon lange keine Illusionen mehr.

Wie geht Donald Trump in Syrien weiter vor? Besitzt er überhaupt eine durchdachte Strategie? Wenn ja, welche? Oder handelt er bloß aus dem hohlen Bauch heraus? Immerhin ist ja eine direkte militärische Konfrontation mit Russland keineswegs auszuschließen, falls er weiterhin Luftangriffe anordnet. Dazu, sich auszumalen, was daraus entstehen könnte, braucht man nur wenig Phantasie. Vielleicht hat er sich gedacht, dass Unberechenbarkeit in anderen Konflikten (Iran, China, Nordkorea) durchaus hilfreich sein könnte. Wenn seine Kontrahenten sehen, dass Trump bereit ist, rasch zur Waffe zu greifen, könnte sie das beeindrucken und zurückzucken lassen. Diese riskante Taktik kann aber auch furchtbar schiefgehen. Unter Umständen haben die USA dann gleichzeitig an mehreren Fronten zu kämpfen.

Abrupte Kurswechsel, unausgegorene Strategien und gegenseitiges Misstrauen sind allerdings keine geeignete Grundlage für ein gedeihliches Miteinander der Nationen. Von der Eindämmung schwelender Konflikte ganz zu schweigen. Momentan macht Donald Trump den Eindruck, auf Kreisliganiveau Weltpolitik betreiben zu wollen. Da ist noch viel Luft nach oben. Und hoffentlich reißt er uns nicht in den Abgrund.

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[1] z.B. Resolution 2118 vom 27. September 2013
[2] Wikipedia, Sarin, Wirkungsweise