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25. April 2017, von Michael Schöfer
Picobello in Schuss oder nur noch Schrott?


"Die verblödete Republik", ist mir da spontan eingefallen. Kein Wunder, wenn immer mehr Menschen Fake-News auf den Leim gehen oder Verschwörungstheorien Glauben schenken. Was ist passiert? Kürzlich habe ich gelesen, dass Deutschlands erfolgreichste YouTuberin bei Madame Tussauds Berlin verewigt wird. Und da ich ein neugieriger Mensch bin, habe ich mir mal angesehen, womit man heutzutage bei YouTube so viel Erfolg haben kann. In einem Video "prankt" (Pranks = Possen, Streiche) die YouTuberin ihren Freund, der frühmorgens schlafend im Bett liegt, indem sie ihm künstliche Fingernägel aufklebt, die er dann nicht mehr abbekommt. In einem anderen spielt sie ihm heulend und verzweifelt vor, sie sei schwanger. Witz komm raus, du bis umzingelt! In meinen Augen ein ebenso sinnfreies wie infantiles Gehabe. Dennoch hat die 24-Jährige auf ihrem YouTube-Kanal mehr als 4,4 Mio. Abonnenten, insgesamt kommt sie bislang auf stattliche 1,28 Mrd. Aufrufe. Unglaublich! Richtig geschockt hat mich allerdings, als ich anderntags in der Süddeutschen las, dass die YouTuberin damit Schätzungen zufolge ein Einkommen von 110.000 Euro erzielt. Pro Monat, wohlgemerkt. Sie hat sogar ihr Studium abgebrochen, um sich ganz auf YouTube konzentrieren zu können. Ich war baff.

Das ist wirklich nicht mehr meine Welt, wenn man mit so einem Quatsch reich werden kann. Ich persönlich würde dafür keinen Cent bezahlen. [1] Aber vielleicht bringt der Prozess des Älterwerdens generell diese Sichtweise mit sich. Als ich jung war, haben sich die, die damals so alt waren wie ich heute, über unseren "neumodischen Kram" ebenfalls furchtbar aufgeregt. Alles, was uns gefiel (lange Haare, Schlaghosen, Pop- und Rockmusik etc.), war Mist. Und nun ist dieser ehedem neumodische Kram in die Jahre gekommen und für die aktuelle Jugend lediglich ein stinklangweiliges Relikt der Opa-Generation. Das ist vollkommen normal. Gleichwohl fragt man sich, was aus dieser Welt werden soll. Doch das haben sich die alten Griechen mit dem Blick auf ihre Kinder genauso gefragt. Wie wenig optimistisch sie waren, kann man noch immer nachlesen. "Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer." (Sokrates, 470 - 399 v. Chr.) "Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere heutige Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen." (Aristoteles, 384 - 322 v. Chr.)

Die Welt von vor 100 Jahren war anders, weil die Menschen vor 100 Jahren anders waren. Vom technologischen Entwicklungsstand ganz zu schweigen. Jede Generation wünscht sich, die Welt möge so bleiben, wie sie gerade ist, allerdings hat keine einen Anspruch darauf, dass die Welt auch tatsächlich so bleibt. Im Gegenteil, zwar ist vieles höchst ungewiss, doch zumindest eines steht fest: Die Welt unterliegt einem ständigen Wandel (kurioserweise hassen Menschen Veränderungen, obgleich sie permanent welche produzieren). Letztlich ist das auch gut so, andernfalls gäbe es ja keinen Fortschritt. Ich vergleiche die Welt immer mit einem Gebrauchtwagen. Wir haben ihn irgendwann einmal geschenkt bekommen und werden ihn irgendwann einmal weiterreichen. Aber die jeweiligen Vorbesitzer haben nicht den geringsten Anspruch darauf, dass die Neubesitzer das Auto noch genauso benutzen wie sie selbst. Sie können es knallrot, giftgrün, himmelblau, pink oder schwarz lackieren - ganz wie es ihnen gefällt. Die Besitzrechte der Generation von vor 100 Jahren an der Welt sind erloschen, und an der Welt in 100 Jahren haben wir ebenfalls keine Besitzrechte mehr. Kurzum: Macht damit, was ihr wollt. Das Einzige, was man zu Recht erwarten kann, ist, keine Rostlaube zu erben. Das Auto sollte also zumindest einigermaßen in Schuss sein. Ich fürchte, da wird sich unsere Generation noch furchtbar anstrengen müssen, denn so wie es derzeit aussieht, ähnelt die Welt, die wir hinterlassen, eher einem Unfallwagen mit Totalschaden.

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[1] dass die Zuschauer/Abonnenten bei diesem Geschäftsmodell nichts zahlen, stattdessen YouTube für die Klicks bzw. die Unternehmen fürs Product Placement in den Videos, ist mir bekannt