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02. Mai 2017, von Michael Schöfer
Wen würde ich in Frankreich wählen?


Welcher der verbliebenen französischen Präsidentschaftskandidaten will die öffentlichen Ausgaben in den nächsten fünf Jahren um 60 Mrd. Euro reduzieren? Emmanuel Macron? Marine Le Pen? Antwort: Beide. Aber davon abgesehen unterscheiden sich ihre Programme erheblich.

Die Kandidatin des Front National will eine Volksabstimmung über den Austritt aus der Europäischen Union und über den Ausstieg aus der Eurozone abhalten lassen, sie verspricht Steuern auf Importe einzuführen und französische Unternehmen bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen zu bevorzugen sowie die Reduzierung der Steuern für mittlere und kleine Unternehmen auf 24 Prozent. Wie die Verringerung der öffentlichen Ausgaben mit der Erhöhung des Rentenbudgets und einer Kaufkraftprämie für alle Arbeitnehmer und Rentner, die monatlich weniger als 1.500 Euro bekommen, zu vereinbaren ist, muss sich erst noch herausstellen. Auch bei Marine Le Pen dürften zwei plus zwei vier ergeben. Davon, neben einer nationalen Währung auch eine nationale Mathematik einführen zu wollen, ist bislang nichts bekannt geworden. Ebenso nebulös ist ihr noch vorzulegender Plan zur Reindustrialisierung Frankreichs. Nicht von vornherein abzulehnen, aber man wüsste schon gerne, wie sie das konkret bewerkstelligen will. Ob Protektionismus dabei hilfreich ist, darf bezweifelt werden.

Doch auch der vom Establishment hochgelobte ehemalige Investmentbanker Macron hat noch etliche Widersprüche aufzulösen. Sein Vorhaben, einerseits die öffentlichen Ausgaben zu reduzieren, aber andererseits einen Investitionsplan in Höhe von 50 Mrd. Euro vorzulegen, könnte an der Finanzierung scheitern. Denn mit was will Macron die Investitionen bezahlen, wenn er gleichzeitig die Unternehmensteuern von 33,3 auf 25 Prozent zu senken verspricht? Wenigstens ist er im Gegensatz zu Le Pen klar proeuropäisch. Er fordert ein Budget der Eurozone in Höhe von mehreren 100 Mrd. Euro für Investitionen, das ein Parlament der Eurozone legitimieren und kontrollieren soll. Der Plan klingt nach einer zusätzlichen europäischen Institution. Der Teufel steckt im Detail: Steht das Parlament der Eurozone neben dem bereits existierenden Europaparlament? Von wem wird es gewählt? Und welche Kompetenzen soll es haben? Im Übrigen wurde dieser Vorschlag schon einmal vor zwei Jahren von François Hollande vorgelegt und stieß damals auf ein geteiltes Echo. Haupthindernis: Dazu müsste man wohl den EU-Vertrag ändern - in der jetzigen Situation ist das schlicht und ergreifend unrealistisch.

Wen würde ich wählen, wenn ich Franzose wäre? Eindeutig Emmanuel Macron, aber nur mit der Faust in der Tasche. In meinen Augen ist er noch immer ein Vertreter des Establishments, das sich in der Vergangenheit um die Lage des sogenannten "kleinen Mannes auf der Straße" einen Dreck geschert hat. Macron erinnert mich an den ehemaligen SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder und an den früheren Labour-Premier Tony Blair mit ihrem unseligen Schröder-Blair-Papier. Unter dem Schlagwort der "neuen Mitte" hat uns Schröder bekanntlich Hartz IV und die Ausweitung des Niedriglohnsektors eingebrockt, dafür im Gegenzug die Unternehmen entlastet sowie den Spitzensteuersatz gesenkt. Warum ich ihn dann trotzdem wählen würde? Nun, er ist im Vergleich zu Marine Le Pen das kleinere Übel. Eine Präsidentin des Front National würde für die Demokratie eine nicht zu unterschätzende Gefahr darstellen. Marcon mag neoliberalen Rezepten zuneigen, von Le Pen sind jedoch Maßnahmen zu erwarten, die die Freiheit bedrohen. Der französische Präsident hat weitreichende Vollmachten, in den falsche Händen kann diese Machtfülle großen Schaden anrichten, und die sehe ich bei Emmanuel Macron wesentlich besser aufgehoben. Mit Macron hat Europa vielleicht die Chance, sich zu erneuern, Le Pen dagegen könnte das Ende der EU und das Wiedererstarken der Nationalstaaten bedeuten. Letztlich eine Gefahr für den Frieden in Europa.