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08. Juni 2017, von Michael Schöfer
Sachkundige Beobachter schütteln nur noch den Kopf


US-Präsident Donald Trump ist wirklich ein … (suchen Sie sich bitte das Ihrer Meinung nach passende Wort heraus). "Staaten, die den Terrorismus fördern, riskieren, selbst Opfer des Bösen zu werden, das sie unterstützen", sagte er mit Blick auf den Doppelanschlag von Teheran, bei dem 13 Menschen ums Leben kamen. Diese Äußerung ist an Dämlichkeit nicht zu überbieten. Die Opfer sollen also seiner Meinung nach an einem Attentat im Auftrag des sogenannten "Islamischen Staates" (IS) selbst schuld sein. Nicht die Menschen in Paris, nicht die Menschen in Manchester, nicht die Menschen in London - aber die Menschen in der iranischen Hauptstadt. Und das, obgleich die sunnitischen Fanatiker des IS und die iranischen Schiiten bekanntlich Todfeinde sind (dazu gleich mehr).

Vollkommen irre, doch es kommt noch irrer: Zur gleichen Zeit wird Katar von Saudi-Arabien und anderen arabischen Staaten der Unterstützung des Terrorismus beschuldigt. Ausgerechnet von Saudi-Arabien, das seinerseits in Verdacht steht, den Terrorismus zu fördern. Die Türkei, die ebenfalls Kontakte zu dubiosen Islamistengruppen pflegt und früher den IS unterstützt haben soll, springt wiederum Katar zur Seite. Übrigens: Alle Beteiligte sind Verbündete der USA. Und alle sind in Washington als Waffenkäufer gern gesehene Gäste. Katar, das den größten US-Stützpunkt in der Region beheimatet, unterhält aber auch gute nachbarschaftliche Beziehungen zum Iran. In diesem Gewirr blickt fast keiner mehr durch. Und Donald Trump wohl am wenigsten. Möglicherweise hat er vor kurzem bei seinem Besuch in Riad das Vorgehen Saudi-Arabiens abgesegnet - und sich damit leichtfertig einen weiteren Konflikt eingehandelt.

Dass die Terroranschläge in Teheran (am Parlament und dem Mausoleum von Staatsgründer Ajatollah Chomeini) durch Iraner verübt wurden, war nur auf den ersten Blick ungewöhnlich, weil der sogenannte Islamische Staat die Urheberschaft für sich reklamiert hat. Für den IS (= Sunniten) sind die Schiiten Abtrünnige, die den Tod verdient haben. Der Publizist Jürgen Todenhöfer berichtet in seinem Buch "Inside IS - 10 Tage im 'Islamischen Staat'" über die monströsen Vorstellungen der Terrorgruppe, der IS würde zum Beispiel die weltweit ungefähr 150 Millionen Schiiten aus Glaubensgründen ohne mit der Wimper zu zucken ermorden. Die hohe Zahl spiele keine Rolle, sei ihm auf seinen Einwand hin entgegnet worden.

Die Attentäter von Teheran waren allerdings keine Schiiten, wie ca. 90 - 95 Prozent der Iraner, sondern gehörten zur sunnitischen Minderheit. Die sunnitische Terrorgruppe "Dschundollah" (Soldaten Gottes) verübt im Iran seit Anfang des Jahrtausends Anschläge, sie ist vor allem in der südöstlichen Provinz Sistan und Belutschistan an der Grenze zu Pakistan aktiv. Man schreibt ihr u.a. folgende Anschläge zu: Im Dezember 2005 das Attentat auf den damaligen iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, bei dem ein Leibwächter ums Leben kam. Im März 2006 den Angriff auf eine Autokolonne (22 Tote). Im Februar 2007 den Anschlag auf Mitglieder der iranischen Revolutionsgarde (18 Tote). Im Mai 2009 den Anschlag auf eine Moschee (15 Tote, 50 Verletzte). Im Oktober 2009 eine Selbstmordattacke, bei der 29 Menschen getötet wurden, darunter fünf ranghohe Kommandeure der iranischen Revolutionsgarde. Im Juli 2010 sprengte sich in einer Moschee ein Selbstmordattentäter in die Luft, ein zweiter Selbstmordattentäter attackierte die Helfer. Bilanz: 27 Tote, 270 Verletzte. Im Dezember 2010 tötete die Dschundollah bei einem Anschlag vor einer Moschee mindestens 38 Menschen, 60 wurden verletzt. [1] Und jetzt kommt mutmaßlich noch der Doppelanschlag von Teheran im Auftrag des IS auf die Liste.

Die Tat könnte für die USA auch ohne die abfällige Äußerung von Donald Trump heikel werden. Im Mai 2007 berichtete nämlich der amerikanische Fernsehsender ABC über verdeckte CIA-Aktionen im Iran, die das Regime destabilisieren sollten. Die Aktionen seien vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush genehmigt worden. Angeblich haben die USA die Dschundollah unterstützt und zu Aktionen ermutigt. US-Beamte leugneten indes jede "direkte Finanzierung", es gebe aber zu ihrem Anführer regelmäßigen Kontakt. Geld und Waffen hätte die Dschundollah vom pakistanischen Militär erhalten, was wiederum Pakistan bestritt. [2] Der Bericht stammte nicht von irgendwelchen Verschwörungstheoretikern, sondern von den renommierten Journalisten Brian Ross und Richard Esposito, beide haben zahlreiche Preise für investigativen Journalismus bekommen.

"Die Welt" griff später den Verdacht erneut auf: "Der amerikanische Enthüllungsjournalist Seymour Hersh berichtete im Juli 2008, die US-Administration unter Präsident George W. Bush habe einen Antrag an den Kongress gestellt, 400 Millionen US-Dollar für die Unterstützung 'anti-iranischer Gruppierungen' zur Verfügung zu stellen. Nach dem Prinzip 'der Feind meines Feindes ist mein Freund', erklärte Hersh, hätten die USA Gruppen wie Dschundullah finanziell unterstützt. Ziel sei es gewesen, 'genug Probleme und Chaos zu provozieren so dass die iranische Regierung den Fehler macht aggressiv darauf zu antworten'. So hätte die Bush-Administration einen 'Grund gehabt das Land (Iran) anzugreifen'." [3]

Die Dschundollah ein Gewächs der USA? Oder wenigstens mit ihrer Unterstützung groß geworden, wie seinerzeit die Dschihadisten im sowjetisch besetzten Afghanistan, die sich später gegen Washington wandten? Nebenbei bemerkt: Waren die Opfer von 9/11 an ihrem schrecklichen Schicksal ebenfalls selbst schuld? Verdeckte Aktionen zur Destabilisierung von Regierungen sind den USA keineswegs fremd, Beispiele gibt es mehr als genug. Und sie waren bei der Frage, mit wem sie sich dabei ins Bett legen, noch nie besonders wählerisch. Doch offenbar fehlen bislang in Bezug auf Dschundollah eindeutige Beweise, offiziell streiten die Vereinigten Staaten jede Unterstützung ab. Im November 2010 setzten sie die Terrorgruppe sogar auf die Liste der ausländischen terroristischen Organisationen des US-Außenministeriums. Dennoch bleiben Zweifel - erst recht nach dem hämischen Kommentar von Donald Trump. Indirekte Unterstützung via Pakistan? Die bisherige Politik der USA gegenüber den islamischen Staaten war jedenfalls von so viel Dilettantismus und Widersprüchen geprägt, da käme es auf diesen Fall auch nicht mehr an. Schon das, was man über den aktuellen Zwist zwischen Saudi-Arabien und Katar weiß, lässt sachkundige Beobachter nur noch verständnislos mit dem Kopf schütteln.

Wäre Trump intelligent, könnte man vermuten, er betreibe im Nahen Osten eine kluge Politik nach dem Motto "teile und herrsche". Keine moralische Politik, aber eine machiavellistische. Ziel: Die traditionelle Uneinigkeit der Araber/Muslime nach Kräften zu fördern. So wie einst die Briten: Im Ersten Weltkrieg ermutigten sie die Araber durch das Versprechen der arabischen Unabhängigkeit zum Kampf gegen das Osmanische Reich (Hussein-McMahon-Korrespondenz). Selbstverständlich wollte man sich später an die abgegebenen Zusagen nicht mehr erinnern, vielmehr teilten die Briten die Region im Sykes-Picot-Abkommen gemeinsam mit den Franzosen nach eigenem Gusto auf. Und während sie den Arabern Hoffnungen machten, versprachen die Briten in der berühmt-berüchtigten Balfour-Deklaration, dem jüdischen Volk eine nationale Heimstätte zu errichten. Im Nahen Osten wäre für den Westen nichts ungünstiger als die arabische/muslimische Einigkeit. Solange etwa das Schisma (Sunniten vs. Schiiten) anhält, bleibt die Region fragmentiert. Dann kann man in aller Seelenruhe je nach Bedarf mal mit der einen oder mal mit der anderen der sich gegenseitig bekämpfenden Gruppen paktieren. So gesehen wäre es in Wahrheit gar kein Dilettantismus, was man uns tagein, tagaus präsentiert, sondern die hohe Kunst des Machiavellismus, eigennützige Politik in höchster Vollendung. Wie gesagt, wäre Trump intelligent...

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[1] Wikipedia, Dschundollah
[2] abc-news vom 24.05.2007
[3] Die Welt-Online vom 18.10.2009