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10. November 2017, von Michael Schöfer
Nicht nur die frommen Wähler Alabamas sind entsetzt


Roy Moore ist das, was man sich gemeinhin unter einem christlichen Fundamentalisten vorstellt. Und obendrein ist er Kandidat der Republikanischen Partei (Grand Old Party) für den Senat. In Alabama, wo Moore ehedem Richter am dortigen Supreme Court war, muss im Dezember eine Nachwahl stattfinden, denn der bisherige Senator für Alabama, Jeff Sessions, ist seit Anfang des Jahres Justizminister in der Regierung von Donald Trump. Moore ist ein erklärter Gegner des Islam und gilt als Vertreter der religiösen Rechten.

Unter christlichen Fundamentalisten ist es Usus, den islamischen Religionsgründer Mohammed als Kinderschänder zu bezeichnen. Es gibt unterschiedliche Angaben über das Alter der dritten und jüngsten Frau Mohammeds, Aischa bint Abi Bakr. Mohammed war insgesamt mit zehn Frauen verheiratet. Aischa soll der Überlieferung zufolge zum Zeitpunkt der Ehe neun und beim Vollzug der Ehe zwölf Jahre alt gewesen sein (andere Quellen geben diesbezüglich sogar sechs bzw. neun Jahre an). [1] Nach unseren heutigen Maßstäben zweifellos Pädophilie. Obgleich die Ehe mit Minderjährigen in den meisten islamischen Staaten verboten ist, orientieren sich fundamentalistische Rechtsschulen bei der Auslegung der Scharia am Handeln Mohammeds, danach dürfen Mädchen schon ab einem Alter von neun Jahren heiraten.

Roy Moore hat im Jahr 2006 geschrieben: "Islamic law is simply incompatible with our law." (Das islamische Recht ist einfach unvereinbar mit unserem Recht.) [2] Wie sich Ansichten doch plötzlich ändern können: Die Washington Post hat nämlich soeben darüber berichtet, dass sich Moore im Jahr 1979 als 32-Jähriger mit sexuellen Absichten einer 14-Jährigen genähert und sie begrapscht haben soll. [3] Drei andere Frauen berichten Ähnliches. Moore bestreitet das.

Hier gilt natürlich, ebenso wie in allen anderen Fällen, bis zum Beweis des Gegenteils die Unschuldsvermutung. Aussagen, die jemanden einer fast 40 Jahre zurückliegenden Straftat bezichtigen, muss man naturgemäß mit Skepsis begegnen. Dies gilt vor allem dann, wenn die Vorwürfe bei Politikern mitten im Wahlkampf publik werden. Zu beweisen ist da in der Regel nichts mehr, Aussage steht gegen Aussage, dafür ist der Ruf meist allein durch den bloßen Vorwurf nachhaltig ruiniert. Rechtsstaatliche Prinzipien müssen jederzeit beachtet werden und ungeachtet der Person Gültigkeit besitzen.

Interessant ist allerdings, wie der christliche Fundamentalist Moore von manchen erzkonservativen Anhängern verteidigt wird. Ein hochrangiger Parteifreund springt dem vermeintlichen Pädophilen nämlich mit der Bibel zur Seite: "Take the Bible. (...) Joseph and Mary. Mary was a teenager and Joseph was an adult carpenter. They became parents of Jesus. There’s just nothing immoral or illegal here. Maybe just a little bit unusual." (Nimm die Bibel. (...) Joseph und Maria. Mary war ein Teenager und Joseph ein erwachsener Zimmermann. Sie wurden Eltern von Jesus. Es gibt hier nichts Unmoralisches oder Illegales. Vielleicht nur ein bisschen ungewöhnlich.) [4] Andere Parteifreunde sind da vorsichtiger. Obgleich keinerlei historische Belege existieren, wird das Heiratsalter von Maria von der EKD auf 12 ½ Jahre geschätzt, sie soll angeblich ca. 17 v. Chr. geboren sein. [5] Andere Quellen sprechen von einem Alter von 13, 14 oder 15 Jahren. Josef war älter, ungefähr 30 Jahre alt. In Alabama normalerweise ein Fall für den Staatsanwalt, freilich wären die Taten allesamt längst verjährt.

Mohammed ein Kinderschänder? Josef ein Kinderschänder? Und Roy Moore? Nein, absolut nicht, denn Letzterer hat es ja nur seinen biblischen Vorbildern nachgemacht. So lautet jedenfalls die Argumentation des Parteifreundes. Aha, das entschuldigt natürlich alles. (Achtung: Ironie!) Ich bin entsetzt. Entsetzt über die christliche Doppelmoral - einerseits wird die Ehe von Mohammed mit einem Kind verurteilt, die Ehe von Josef mit einem Kind ist aber anscheinend völlig unproblematisch. Das sei eben in dieser Zeit so üblich gewesen. In Ordnung, aber warum gilt das dann nicht auch für Mohammed, der zwischen 570/573 und 632 gelebt hat? Ich bin zudem entsetzt darüber, dass Verstöße gegen weltliche Gesetze im 21. Jahrhundert immer noch mit Verweis auf die Religion bagatellisiert werden. Das gilt wohlgemerkt für alle Religionen. Und in Alabama genauso wie in der saudi-arabischen Provinz.

Noch entsetzter müssten Christen über die Grand Old Party sein, denn die sich ach so christlich gebenden Politiker kennen offenkundig nicht einmal zentrale Dogmen des eigenen Glaubens. Dem Neuen Testament zufolge war nämlich Josef gar nicht der Vater von Jesus, die Schwangerschaft Marias wurde bekanntlich vom Heiligen Geist verursacht. Stichwort: Jungfrauengeburt (empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria). Demzufolge hinkt der an den Haaren herbeigezogene religiöse Beleg zur Verteidigung eines mutmaßlichen Pädophilen gewaltig. Die Ehe zwischen Maria und Josef, so sie denn überhaupt jemals existierten, wurde zwar irgendwann vollzogen (das NT nennt die Geschwister Jesu sogar namentlich), doch spielte Sex bei der Schwangerschaft, aus der Jesus hervorging, keine Rolle. Geschlechtsverkehr zwischen Maria und Josef darf nach christlicher Lehrmeinung keine Rolle spielen, weil dadurch die Eigenschaft von Jesus als Sohn Gottes infrage stünde. Aussagen, wie die des Parteifreundes von Roy Moore, müssten also bei den frommen Wählerinnen und Wählern Alabamas in zweierlei Hinsicht auf Ablehnung stoßen. Erstens wegen der Tat (selbst Donald Trump hat Moore zum Rücktritt aufgefordert, falls die Vorwürfe zutreffen sollten), und zweitens wegen dem vor religiöser Unkenntnis strotzenden Rechtfertigungsversuch.

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[1] Wikipedia, Aischa bint Abi Bakr
[2] WorldNetDaily vom 13.12.2006
[3] Washington Post vom 09.11.2017
[4] Washington Examiner vom 10.11.2017
[5] EKD, Kirchenjahr und Bräuche, Weihnachten, Heiland, Maria