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02. Dezember 2017, von Michael Schöfer
Die Selbstblockade des Bundestages


"Ohne Regierung kein Haushalt", schreibt die Tagesschau auf ihrer Website. "So lange es nur eine geschäftsführende Regierung gibt, bleibt so manches liegen. So kann der Haushalt für 2018 nicht verabschiedet werden." [1] Doch stimmt das? Nein, der Artikel zeigt vielmehr, dass es auch Journalisten schwerfällt, aus den gewohnten Koalitions-Denkschablonen auszubrechen. Üblich war, dass sich Parteien auf einen Koalitionsvertrag einigen und dabei über Ein- und Ausgaben befinden, die in den Haushalt einfließen. Die von den Koalitionsparteien getragene Regierung legt einen entsprechenden Haushaltsentwurf vor, den anschließend die Abgeordneten der Regierungskoalition im Bundestag brav abnicken. Nach dieser Logik gibt es ohne Koalition in der Tat keinen Haushalt.

Das bislang übliche Verfahren bewegt sich zwar innerhalb des Rahmens unserer Verfassung, doch lässt das Grundgesetz durchaus auch andere Optionen zu. Verkürzt gesagt wird bisher zunächst ein Haushaltsplan erstellt, der wiederum Bestandteil des Haushaltsgesetzes ist, Letzteres beschließt dann der Bundestag. (Artikel 110 GG) Der Bundestag kann aber dennoch Gesetze beschließen - auch solche, die Auswirkungen auf den Haushalt haben. Wenn Gesetze die Ausgaben des von der Bundesregierung vorgelegten Haushaltsplans erhöhen oder darin vorgesehene Einnahmen verringern, kann die Bundesregierung dagegen Einspruch erheben. Der bietet aber lediglich einen zeitlich Aufschub, verhindern kann er haushaltswirksame Gesetze nicht. (Artikel 113 GG) Außerdem liegt ein - noch von der alten schwarz-roten Bundesregierung eingebrachter - Haushaltsentwurf für 2018 bereits vor, könnte also vom Bundestag verabschiedet werden. Eine neue Regierungskoalition oder eine Minderheitsregierung legt dazu ggf. einen Nachtragshaushalt vor.

Was die Tagesschau beklagt, das Fehlen einer vom Bundestag gewählten Regierung und demzufolge das Fehlen eines verabschiedeten Haushalts, geht am Kern der Sache vorbei. Was wir derzeit erleben ist eher als Selbstblockade des Bundestages zu bezeichnen, der sich vom Vorhandensein einer möglichen Regierungskoalition abgängig macht, auf die er im Grunde gar nicht angewiesen ist. Das Budgetrecht liegt nämlich ohnehin beim Bundestag, und er hat die Regierung zu kontrollieren - nicht umgekehrt die Regierung dem Bundestag huldvoll das Beschließen von Gesetzen zu erlauben. Die Zeit einer geschäftsführenden Bundesregierung ist, anders als die Tagesschau suggeriert, keineswegs gleichbedeutend mit politischem Stillstand. Der Bundestag ist voll handlungsfähig, nutzt diese Handlungsfähigkeit bloß nicht. Überdies ist die Phase einer geschäftsführenden Bundesregierung kein Dauerzustand, da der Bundespräsident dem Bundestag einen Bundeskanzler vorschlagen muss. Entweder gibt es dann eine Regierung oder es gibt Neuwahlen. (Artikel 63 GG) Die Tagesschau redet ein Problem herbei, das in Wahrheit gar nicht existiert.

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[1] tagesschau.de vom 02.12.2017

Nachtrag (10.12.2017):
Das, was die Tagesschau-Redaktion geschrieben hat, ist offenbar auch juristisch falsch. Richtig ist vielmehr: "Eine geschäftsführende Regierung besitzt nach herrschender Meinung grundsätzlich dieselben Befugnisse wie eine 'regulär' im Amt befindliche Regierung. Ihr Handlungsspielraum ist von Rechts wegen nicht auf die 'laufenden Geschäfte' beschränkt. Teilweise wird aber darauf hingewiesen, dass ihr Übergangscharakter größtmögliche politische Zurückhaltung gebiete. Einer geschäftsführenden Regierung steht das Gesetzesinitiativrecht einschließlich der Einbringung des Haushalts zu. Die Ressortminister haben weiterhin die ihr nach Art. 65 S. 2 GG zustehenden Befugnisse, das Recht zum Erlass von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften eingeschlossen." [2] (Artikel 65 Satz 2 Grundgesetz bestimmt, dass Bundesminister ihre Geschäftsbereiche selbständig und unter eigener Verantwortung leiten.)

[2] Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Nr. 31/13 vom 01.10.2013, Aktueller Begriff: Geschäftsführende Bundesregierung, PDF-Datei mit 86 kb