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04. Dezember 2017, von Michael Schöfer
Die Vorwürfe des türkischen Justizministeriums sind absurd


Die Türkei hat auf die Beschwerde des WELT-Korrespondenten Deniz Yücel vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geantwortet. Das, was darüber berichtet wurde, lässt den Schluss zu, dass der Journalist nur seine Arbeit als Journalist getan hat. Legt man nämlich den Maßstab der Türkei zugrunde, müsste fast jeder Journalist im Knast sitzen. "In den einschlägigen Artikeln des Antragstellers, die in der Begründung des Haftbefehls angeführt werden, ist erkennbar, dass er die Terrororganisation PKK als eine legitime Körperschaft erscheinen ließ", heißt es in der Stellungnahme des türkischen Justizministeriums. Sein Interview mit Cemil Bayik, dem Exil-Chef der kurdischen Organisation, legt die Türkei so aus: "Die Gewalttaten der Terrororganisation, vor allem im Osten und Südosten unseres Landes, wurden damit gutgeheißen." Außerdem habe er Staatspräsident Erdogan als "Putschisten" bezeichnet.

Der frühere CDU-Politiker und Publizist Jürgen Todenhöfer hat 2012 ein Interview mit dem syrischen Diktator Baschar al-Assad geführt und 2016 in Aleppo einen angeblichen Kommandanten der al-Nusra-Front (eine Abspaltung von al-Qaida) interviewt. Im November 2014 war er sogar 10 Tage lang beim sogenannten Islamischen Staat und führte dort Gespräche mit Mitgliedern der Terrorgruppe. Als Publizist waren das natürlich Scoops. Und obgleich sich Todenhöfer mit Terroristen unterhalten hat, die hierzulande für ihre Taten lange Zeit hinter schwedischen Gardinen verschwunden wären, ist ihm daraus kein Vorwurf zu machen. So etwas gehört selbstverständlich zur ganz normalen Arbeit eines Publizisten und ist in keinerlei Hinsicht Werbung für den Terrorismus, schon gar keine Rechtfertigung desselben. Das ist die übliche Chronistenpflicht, denn es geht darum, die Öffentlichkeit möglichst umfassend und wahrheitsgemäß zu informieren.

Daran sieht man, wie absurd die Vorwürfe des türkischen Justizministeriums sind. Der Journalist Yücel soll bestraft werden, weil er seiner Arbeit als Journalist nachgekommen ist. Vielleicht unangenehm für Erdogan, aber nach demokratischen Maßstäben keine Straftat. Doch wie es in der Türkei um die Presse- und Meinungsfreiheit bestellt ist, dürfte ja inzwischen hinreichend bekannt sein.