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11. November 2017, von Michael Schöfer
Undurchsichtiges Theater


Ich würde Ihnen hier so gerne die Welt erklären, bin aber momentan selbst ziemlich ratlos. Wie übrigens auch die anderen 99,9 Prozent meiner Zunft (selbsternannte Welterklärer), die offenbar ebenso wenig wissen, was da gerade im Libanon vor sich geht. Ministerpräsident Saad Hariri ist zurückgetreten. Sagt er. Bei einem Besuch in Saudi-Arabien. Hariri behauptet, man trachte ihm nach dem Leben. Sogar der libanesische Präsident Michel Aoun äußert Zweifel und fordert Aufklärung. Die schiitische Hisbollah dementiert, Hariri töten zu wollen. Andere unterstellen, er sei von Saudi-Arabien unter Druck gesetzt worden und die Rücktrittserklärung sei erzwungen gewesen. Außerdem werde er gegen seinen Willen in Saudi-Arabien festgehalten, Hariri ist aber inzwischen in die Vereinigten Arabischen Emirate weitergereist. Freiwillig oder unfreiwillig? Angeblich gibt es ein Komplott zwischen Saudi-Arabien und Israel, schon bald gegen die vom Iran unterstützte Hisbollah losschlagen zu wollen. Das Ganze im Hintergrund orchestriert von den USA. Juden und Sunniten Hand in Hand gegen Schiiten? In Nahost ist nichts unmöglich. Viele hochrangige Politiker warnen vor einem neuen heißen Konflikt in der ohnehin arg gebeutelten Region. Die Gemengelage ist vollkommen undurchsichtig. Und die ganze Welt fragt sich, was da wohl wieder für eine Sauerei vorbereitet wird.

Man hat das Gefühl, einem Theaterstück beizuwohnen, bei dem die Bühnenarbeiter vergessen haben, vor dem ersten Akt des Dramas den Vorhang zu öffnen. Wir hören nur irgendwelche Geräusche und sollen uns einen Reim darauf machen. Als selbsternannter Welterklärer und klitzekleiner Blogger finde ich das nicht lustig. Und die Menschen im Libanon wahrscheinlich erst recht nicht. Ich fürchte, trotz all unserem Flehen wird uns bestimmt kein Schwein aufklären. Jedenfalls nicht vorher. Wir werden es vermutlich wie so oft morgens beim Frühstück in den Nachrichten hören. Dann, wenn es losgegangen ist und der Vorhang längst in Flammen steht. Hoffentlich hat das Theater einen Notausgang.