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30. August 2017, von Michael Schöfer
Anzeige wegen Volksverhetzung absolut berechtigt


Der frühere Vorsitzende des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs, Thomas Fischer, will den AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland wegen dessen Angriff auf die stellvertretende SPD-Vorsitzende und Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, anzeigen. Grund: Volksverhetzung. Wenn man sich die überwiegend haarsträubenden Leserkommentare auf den Websites der Medien ansieht, muss man leider konstatieren, dass offenbar die wenigsten gelesen haben, was Özoguz und Gauland eigentlich genau sagten. Und noch weniger scheinen den Sinngehalt der Äußerungen begriffen zu haben. Auch über die Rechtsgrundlage der geplanten Anzeige sind leider viele erschreckend uniformiert. Darauf, was Özoguz und Gauland gesagt haben, bin ich ja bereits am 27. August eingegangen. Ich bin über die Hetze von Gauland entsetzt.
§ 130 Abs. 1 StGB (Volksverhetzung) lautet wie folgt:
"Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,
1. gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder
2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft."
Gauland hat Özoguz wegen ihrer ethnischen Herkunft angegriffen ("das sagt eine Deutschtürkin"). Und er legt laut Welt-Online sogar nach: "Ich bleibe dabei, wer solche Ansichten vertritt, hat in diesem Land nichts verloren." Er würde sich wünschen, "dass Frau Özoguz dorthin zurückkehrt, wo sie offensichtlich besser aufgehoben ist". Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Er spricht einer Deutschen ab, in Deutschland leben zu dürfen, weil sie eine Meinung vertritt, die ihm nicht gefällt. Und wohin, bitteschön, sollte eine in Hamburg geborene und dort lebende Deutsche überhaupt zurückkehren? Gaulands Hetze erinnert an die unselige Zeit zwischen 1933 und 1945, als man Deutschen anderen Glaubens ebenfalls absprach, hier leben zu dürfen. Nur waren es damals keine Muslime, sondern Juden. Das ist der historische Hintergrund des § 130 StGB, gerade aus dieser Erfahrung heraus wurde er nach dem Ende der Nazi-Diktatur so formuliert. Und die Anzeige wegen Volksverhetzung ist in meinen Augen absolut berechtigt.