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29. August 2017, von Michael Schöfer
Die in Berlin reden nur


Die Bundesregierung redet und der türkische Präsident redet. Der entscheidende Unterschied ist: Erdogan handelt auch, er lässt Unschuldige einsperren und verstößt massiv gegen die Menschenrechte. Die Bundesregierung redet nur, traut sich aber nicht zu handeln. Was hat sie vor kurzem noch getönt: Das Maß sei jetzt endlich voll, die Bundesregierung habe ihre Türkeipolitik grundlegend geändert. Die Hermes-Bürgschaften würden überdacht, die EU-Vortrittsbeihilfen stünden auf dem Prüfstand und die Erweiterung der Zollunion könne die Türkei ohnehin vergessen.

Doch inzwischen knickt man ein - nicht in Ankara, sondern in Berlin: Das Kanzleramt und SPD-Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries haben laut Süddeutscher Zeitung eine deutliche Begrenzung der Hermes-Bürgschaften abgelehnt, die vollständige Abschaffung stand anscheinend nie zur Debatte. Noch vor ein paar Wochen hat die Regierung den gegenteiligen Eindruck erweckt. Auch die Streichung der EU-Vortrittsbeihilfen für die Türkei falle schwer, das würde nämlich bloß eine Minderheit der EU-Partner mittragen. Mal gespannt, wie es bei der Erweiterung der Zollunion aussieht. Das Abkommen mit der Türkei aufzukündigen, erwägt offenbar niemand, obwohl genau das Erdogan ziemlich hart treffen würde. Eine Reisewarnung für deutsche Touristen? Stimmt, da war mal was, aber da hat sich Außenminister Sigmar Gabriel nur privat geäußert. I'm so sorry.

Kein Wunder, dass Erdogan nicht nur redet, sondern weiterhin diktatorisch handelt. Er weiß: Die in Berlin reden nur. Und reden, und reden, und reden… Gelegentlich drohen sie auch: Du böser Erdogan! Du ganz böser Erdogan! Du ganz furchtbar böser Erdogan! Wow, sehr beeindruckend. Angesichts dessen braucht sich wirklich keiner darüber zu wundern, wenn Autokraten (nicht bloß Erdogan) immer dreister werden.