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15. Juli 2017, von Michael Schöfer
Rechtsgrundsätze sind für Erdogan irrelevant


Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat am Jahrestag des Putschversuchs erneut seine Bereitschaft bekundet, die Todesstrafe wieder einzuführen. Er werde ein entsprechendes Gesetz unterschreiben. Außerdem fügte Erdogan mit Blick auf die Verantwortlichen des Putschversuchs hinzu: "Wir werden diesen Verrätern den Kopf abreißen." Das zeigt abermals, wie wenig der Despot das Recht achtet. Laut der türkischen Verfassung ist die Todesstrafe unzulässig (Artikel 38), die Wiedereinführung müsste also erst durch eine Verfassungsänderung erfolgen. Die Verfassung sagt im gleichen Artikel aber auch: "Niemand darf wegen einer Straftat bestraft werden, die nicht aufgrund eines im Zeitpunkt der Begehung in Kraft befindlichen Gesetzes als solche gegolten hat; niemand darf eine härtere Strafe erhalten als diejenige, welche durch das im Zeitpunkt der Begehung der Straftat bestehende Gesetz für diese Straftat bestimmt wurde." (Übersetzung von Prof. Dr. Christian Rumpf)

Das entspricht dem klassischen Rechtsgrundsatz des Rückwirkungsverbots: Nulla poena sine lege praevia (keine Strafe ohne vorheriges Gesetz). Danach dürfen Strafvorschriften weder rückwirkend in Kraft gesetzt noch darf das Strafmaß rückwirkend verschärft werden. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem der Täter gehandelt hat. Das heißt: Selbst wenn die Todesstrafe wieder eingeführt wird, darf man sie nicht gegen die Putschisten vom 15. / 16. Juli 2016 verhängen. Aber Rechtsgrundsätze sind für Erdogan ohnehin irrelevant, das erleben wir ja in der Türkei Tag für Tag.

Die Süddeutsche meint übrigens, man solle nicht ein ganzes Volk meiden, weil einem die Herrschenden zuwider sind. Das sei Quatsch. Detlef Esslinger hält folglich nichts von privaten Reiseboykotten, man könne in der Türkei durchaus Urlaub machen. Die türkische Tourismusbranche hat in letzter Zeit starke Einbußen hinnehmen müssen. Das kann man auch anders sehen. Wenn nämlich die türkische Wirtschaft wegen Erdogans Willkürherrschaft schlechter läuft, schadet ihm das. Jeder Euro, den der Tourismus in seine Kassen spült, stützt Erdogan. Boykotte sind nützlich, ohne sie wäre beispielsweise das Apartheid-Regime in Südafrika gar nicht oder erst viel später kollabiert. Jede damals in Deutschland gekaufte Südfrucht aus dem Land der Rassentrennung verhinderte die Freilassung Nelson Mandelas. Deshalb lautete das Motto: "Kauft keine Früchte der Apartheid." Heute gilt: Urlaube in der Türkei helfen Erdogan und schaden den unschuldig Inhaftierten in den Gefängnissen. Außerdem: Wie kann man in einem Land, das die Menschenrechte mit Füßen tritt, ruhigen Gewissens die Sonne genießen?