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10. Juli 2017, von Michael Schöfer
Der abgebildete "Chaot" ist nicht der Werfer des Böllers!


Ihr habt sie doch nicht mehr alle! Seid jetzt auch ihr durchgeknallt? Anders kann man die Hetzjagd nach mutmaßlichen "G20-Verbrechern" nicht kommentieren. Natürlich steht dabei das Blatt mit den großen Buchstaben in der ersten Reihe. Rechtsstaatliches Verfahren? Unschuldsvermutung? Warum sollten wir uns durch so etwas aufhalten lassen? Vermeintliche "Straftäter" werden der Lynchjustiz ausgeliefert. Doch die berechtigte Empörung über Rechtsbrüche darf nie selbst in Rechtsbrüche münden. Bild meldet: "Verliert er sein Augenlicht? Randalierer wirft Polizist Böller ins Gesicht." Darunter das unverpixelte Bild eines Mannes. Doch nichts davon stimmt. Wie die Polizei Hamburg klarstellt, hat der betroffene Polizist zwar ein Knalltrauma, wird aber keine bleibenden Augenverletzungen zurückbehalten. Und ganz wichtig: Der abgebildete "Chaot" ist nicht der Werfer des Böllers! Das wird dem Mann aber wohl nicht viel nützen, wenn ihm aufgrund des "Fahndungsfotos" ein paar Idioten an den Kragen wollen und das Recht in die eigenen Hände nehmen. Vielleicht stiftet die Bild-Zeitung einen Kranz. Bild hat noch mehr Fotos von "Straftätern" veröffentlicht, die im Netz eifrig geteilt werden. Eine Republik macht sich auf die Suche. Sachverhaltsaufklärung? Später. Wenn überhaupt. Verhandlung vor Gericht? Überflüssig!

Leider hetzen sogar die Polizeigewerkschaften ordentlich mit. "Die Facebook-Seite der Deutschen Polizei-Gewerkschaft (DPolG) Königsbrunn veröffentlichte das unverpixelte Foto aus Hamburg mit dem Text 'W A N T E D : Das ist der 'Demonstrant', welcher mit einem Böller unserem Kollegen das Augeblicht nahm!' (Hinweis: Rechtschreibfehler aus dem Original-Text übernommen.)", berichtet tagesschau.de. Auch Benjamin Jendro, Pressesprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Berlin, macht auf seinem Twitter-Account bei der Hetzjagd mit: Unter "Gesucht - Wer kennt diese G20-Verbrecher?" veröffentlicht er "Fahndungsfotos" der Bild-Zeitung.

Wie lauten nochmal die Grundsätze des Ermittlungsverfahrens? Es ist objektiv zu ermitteln und dabei nicht nur die belastenden, sondern auch die entlasteten Umstände heranzuziehen. Kurzum, keine Vorverurteilung. Aber das mit der Polizeischule ist eben so wie mit dem Führerschein: Ziemlich lange her. Wehe dem, der solch voreingenommenen Beamten in die Hände fällt.

Übrigens: Die Veröffentlichung von Abbildungen eines Beschuldigten, der einer Straftat von erheblicher Bedeutung verdächtig ist, darf nur durch einen Richter angeordnet werden. § 131c in Verbindung mit § 131b StPO. Recht und Ordnung? Pillepalle! Jedenfalls für manche. Und wie man sieht, nicht bloß für die vom Schwarzen Block.