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24. Juni 2017, von Michael Schöfer
Die weisen Ratschläge der Führer


Der nordkoreanische Diktator Kim Jong-un ist ständig von Mitgliedern seiner Entourage umringt, die Kugelschreiber und Notizheft bereithalten. Kein Wort, keine seiner bahnbrechenden Anweisungen darf verloren gehen, schließlich ist er das "Genie der Genies". Schon sein Großvater Kim Il-sung ("Großer Führer") und sein Vater Kim Jong-il ("Geliebter Führer") haben das so gehandhabt. Bei Betriebsbesuchen bedanken sich die Experten artig für die weisen Ratschläge des "Obersten Führers". Endlich erklärt ihnen einer, wie sie ihren Job zu machen haben. Kim Jong-un wird von der Propaganda als wissenschaftliches Universalgenie dargestellt, was er unbestreitbar auch ist.

Dahinter durfte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan natürlich nicht zurückbleiben und strich kurzerhand Charles Darwins Evolutionslehre aus den Lehrbüchern. Für Schüler zu kontrovers, zu kompliziert und sowieso umstritten, heißt es zur Begründung. Bei seinen Vor-Ort-Besuchen wird Erdogan den Schülern höchstpersönlich erklären, wie die Welt und das Leben entstanden sind. Die Schöpfungsgeschichte des Koran ist über jeden Zweifel erhaben. Ach, wir sind überglücklich, ausgerechnet in der Zeit zu leben, die die brillantesten Geistesgrößen hervorgebracht hat: Kim Jong-un, Donald Trump und Recep Tayyip Erdogan. Sie werden der staunenden Öffentlichkeit die Augen öffnen, die falschen Propheten Albert Einstein und Max Planck schlussendlich mitsamt ihren gottlosen Irrlehren vom Sockel stoßen.

Damit ist der Weg der Türkei zum Mekka der Wissenschaft vorgezeichnet, der Präsidentschaftspalast in Ankara entwickelt sich bestimmt zum Wallfahrtsort der Forschungsgemeinde. Wahrscheinlich wird dereinst auch das Renommee der Erdoganpreise das der Nobelpreise weit übersteigen. Wie aus gewöhnlich gut informierten Kreisen verlautete, sind alljährliche Verleihungen in den Kategorien "Islamische Physik", "Islamische Chemie" und "Islamische Biologie" vorgesehen. Gemeinsames Motto: "Intellektuelle Hürden unterlaufen anstatt überspringen." Es wird sogar über einen "Erdogan-Menschenrechtspreis" gemunkelt, die Entscheidung darüber scheint aber noch nicht gefallen zu sein.

Fazit: Die Welt ist auf einem guten Weg, es gibt überhaupt keinen Grund, pessimistisch zu sein.